Intensity
in der Metalltür einer Zelle im Hochsicherheitstrakt.
Tatta-tatta-tatta …
Der Mörder schien ein ungewöhnlich langes Duschbad zu nehmen. Andererseits befand Chyna sich noch keine drei Minuten in dem Haus; es kam ihr einfach länger vor. Wenn er sich genüßlich und in aller Ruhe abschrubbte, würde er vielleicht noch einmal dieselbe Zeitspanne brauchen.
Tatta-tatta …
Sie hätte es vorgezogen, die äußere Tür aufhalten zu können, während sie in den Vorraum trat und das Paneel in der inneren Tür aufschob, doch die Entfernung war zu groß. Sie mußte die Tür hinter sich zufallen lassen.
In dem Augenblick, da die gepolsterte Tür mit dem schabenden Flüstern aufgerauhten Vinyls den gepolsterten Rahmen berührte, war das Geräusch des vibrierenden Wasserrohrs wie abgeschnitten. Die Stille war so tiefgründig, daß selbst ihr holpriger Atem kaum noch zu hören war. Unter der Polsterung mußten die Wände von mehreren schalldämpfenden Isolierschichten bedeckt sein.
Oder der Mörder hatte die Dusche vielleicht in dem Augenblick abgestellt, da die Tür zugefallen war. Und trocknete sich jetzt ab. Oder zog einen Bademantel über, ohne sich die Mühe zu machen, sich vorher trockenzureiben. Und war jetzt auf dem Weg hinab.
Angsterfüllt, nicht mehr zum Atmen fähig, öffnete sie die Tür wieder.
Tatta-tatta-tatta und das Rauschen von Wasser, das unter Druck schnell floß.
Vor Erleichterung stieß sie den Atem aus.
Sie war noch in Sicherheit.
Na schön, alles klar, sei ganz cool, bleib in Bewegung, finde heraus, ob das Mädchen hier ist, und tu dann, was getan werden muß.
Zögernd ließ sie die Tür wieder zufallen. Das Rasseln des Rohrs verstummte erneut.
Sie hatte den Eindruck, sie würde ersticken. Vielleicht war die Belüftung des Raums unzureichend, aber die schalldämpfende Wirkung des gepolsterten Wände trug mindestens genauso sehr wie die schlechte Belüftung zu dem Eindruck bei, die Luft sei dick wie Rauch und nicht atembar.
Chyna schob das gepolsterte Paneel der Innentür zur Seite.
Dahinter sah sie rosiges Licht.
Die Luke war mit einem stabilen Gitter ausgestattet, das verhindern sollte, daß der Betrachter von dem Insassen der Zelle angegriffen wurde.
Chyna drückte das Gesicht gegen die Luke und sah einen Raum, der fast so groß war wie das Wohnzimmer, unter dem er sich befand. Teile der Kammer lagen in tiefem Dunkel; das einzige Licht kam von drei Lampen mit fransenbesetzten Schirmen und rosa Birnen von je vielleicht vierzig Watt.
An zwei Stellen an der hinteren Wand befanden sich Bahnen aus rotem und goldenem Brokat, die an Messingstangen hingen, als würden sie Fenster bedecken, aber hier unter der Erde konnte es ja gar keine Fenster geben; der Brokat sollte den Raum nur wohnlicher erscheinen lassen. An der linken Wand, kaum vom Licht berührt, hing ein großer Bildteppich: Er zeigte Frauen in langen Kleidern und mit Glockenhüten, die auf ihren Pferden im Damensitz durch eine Frühlingswiese ritten, an einem grünen Wald vorbei.
Die Einrichtung bestand unter anderem aus einem stämmigen Sessel mit Schonbezug, einem Doppelbett, dessen weißes Kopfende mit einer Szene bemalt war, die im rosa Licht nicht ganz klar auszumachen war, Bücherregalen mit Zierleisten in Form von Akanthusblättern, Schränkchen mit längs unterteilten Türen, einem kleinen Eßtisch mit massivem Schnitzwerk an der Blende, zwei Directoire-Stühlen mit blumengemusterten Kissen neben dem Tisch und einem Kühlschrank. Ein gewaltiger, dunkel melierter Kleiderschrank mit Blumenverzierungen aus krakelierter Glasur auf allen Türflächen war alt, aber wahrscheinlich nicht echt antik, schon etwas ramponiert, aber noch immer ansehnlich. Eine gepolsterte Frisierbank stand vor einem Schminktisch, der einen dreiteiligen Spiegel in vergoldeten, gerillten Rahmen trug. In einer der hinteren Ecken waren eine Toilette und ein Waschbecken untergebracht.
So unheimlich dieser unterirdische Raum auch war – er mutete wie ein Lagerraum für Kulissen einer Produktion von Arsen und Spitzchenhäubchen an –, noch seltsamer war die Puppensammlung. Pausbäckige Engel mit hohen Haarknoten, lebensechte Porzellangesichter, zerlumpte Stoffgebilde und zahlreiche andere Exemplare, sowohl alt als auch neu, einige über einen Meter groß, andere kleiner als eine Milchtüte, bekleidet mit Windeln, Skianzügen, kunstvollen Brautkleidern, karierten Spielanzügen, Cowboyanzügen, Tennisklamotten, Schlafanzügen, Hularöckchen, Kimonos,
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