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Intensity

Intensity

Titel: Intensity Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Clownkostümen, Overalls, Nachthemdchen und Matrosenanzügen. Sie füllten die Regalbretter, spähten aus einigen Glastüren der Kommode, hockten auf dem Kleiderschrank, saßen auf dem Kühlschrank und standen und lehnten an den Wänden auf dem Boden. Andere lagen in einer Ecke und am Fuß des Bettes aufeinander; ihre Arme und Beine standen in seltsam steifen Winkeln ab, die Köpfe auf die Seite gelegt, als sei ihr Genick gebrochen, wie Stapel unbekümmert aufgeschichteter Leichen, die auf den Abtransport in ein Krematorium warteten. Zwei-, dreihundert oder noch mehr kleine Gesichter leuchteten entweder im sanften Licht oder blickten geisterhaft bleich aus dem Halbdunkel, einige aus Biskuitporzellan, einige aus Stoff, einige aus Holz und einige aus Plastik. Ihre Augen aus Glas, Zinn, Knöpfen, Stoff und bemalter Keramik reflektierten das Licht, leuchteten hell, wenn die Puppen in der Nähe einer der drei Lampen saßen, und so düster wie erloschene Kohlen, wenn sie in die dunkleren Ecken verbannt waren.
    Einen Augenblick lang hatte Chyna das Gefühl, daß diese Puppen tatsächlich sehen konnten, mit der Ausnahme einiger weniger Exemplare, die hinter Katarakten rosa Lichts blind zu sein schienen, und daß in ihren schrecklichen Augen Bewußtsein aufschimmerte. Obwohl keine von ihnen sich bewegte – oder auch nur den Blick veränderte –, hatten sie eine lebendige Aura um sich. Ihre Macht war unheimlich, als sei der Mörder auch ein Hexenmeister, der die Seelen seiner Opfer stahl und sie in diesen Formen einsperrte.
    Dann eine leise Bewegung im Raum, ein Schatten, der aus dem Dunkel kam und sich als die Gefangene entpuppte, und als sie ins Licht trat, verloren die Puppen ihre unheimliche Magie. Sie war das schönste Kind, das Chyna je gesehen hatte, sogar noch schöner als auf dem Polaroid-Schnappschuß, mit glattem, schimmerndem Haar, das in dem eigentümlichen Licht eine bezaubernde kastanienbraune Schattierung hatte, obwohl es in Wirklichkeit platinblond war. Sie war zart gebaut, schlank, anmutig und hatte eine ätherische, engelhafte Schönheit, und sie schien kein echtes Mädchen zu sein, sondern eine Erscheinung, welche die Botschaft von der Erlösung, von der Krippe, der Hoffnung und dem Morgenstern verkündete.
    Sie trug schwarze Halbschühchen, weiße Kniesocken, einen blauen oder schwarzen Rock und eine kurzärmelige Bluse mit dunklen Paspeln auf dem Kragen und dem Taschenaufschlag; es sah aus, als sei sie mit der Uniform einer kirchlichen Schule bekleidet.
    Zweifellos versorgte der Mörder das Mädchen mit der Kleidung, die ihm gefiel, und Chyna begriff sofort, warum er solch eine Aufmachung bevorzugte. Obwohl sie körperlich zweifellos sechzehn war, wirkte sie jünger, wenn sie sich auf diese Weise kleidete; mit ihren schlanken Armen, zarten Gelenken und Händen ließ die sittsame Uniform sie in diesem trüben Licht wie ein Kind von elf aussehen, das schüchtern seinem Konfirmationssonntag entgegensah, naiv und unschuldig.
    Soziopathen wie dieser Mann wurden von Schönheit und Unschuld angezogen, weil sie den Drang verspürten, sie zu beflecken. Wenn das Opfer seiner Unschuld beraubt, wenn die Schönheit zerschnitten und zermalmt wurde, konnte das mißgebildete Ungeheuer sich der Person, die er begehrt hatte, endlich überlegen fühlen. Wenn Unschuld und Schönheit zerstört waren und verrotteten, war die Welt der wüsten Seelenlandschaft des Mörders wieder ein Stück ähnlicher geworden.
    Das Mädchen setzte sich in den Sessel.
    Es hielt ein Buch in der Hand, öffnete es, blätterte ein paar Seiten um und schien zu lesen.
    Obwohl es bestimmt gehört hatte, daß das Paneel von der Luke in der Tür zurückgeschoben worden war, schaute es nicht auf. Offensichtlich vermutete es, daß ihr Besucher, wie immer, der Spinnenfresser war.
    Mit einem Ansturm von Gefühlen, die ihr das Herz schwer machten und deren Intensität sie überraschte, sagte Chyna: »Ariel.«
    Der Name fiel durch die Sichtluke wie in einen luftlosen Abgrund, in dem er nicht die geringste Entfernung zurücklegte und nirgends widerhallte.
    Die Zelle des Mädchens war offensichtlich mit mehreren Schichten des schallisolierenden Materials gepolstert worden, vielleicht sogar mit mehr Lagen als der Vorraum, und daß der Mörder so sorgsam darauf geachtet hatte, ihre Schreie und Rufe zu verbergen, schien darauf hinzuweisen, daß er gelegentlich Gäste in sein Haus einlud. Vielleicht zum Abendessen. Oder auf ein paar Bier, während sie sich ein

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