Internat auf Probe
langen Schlägen über den aufgewühlten See. Das schlechte Wetter scheint ihn überhaupt nicht zu beeindrucken.
Herr Dunker zeigt auf seine überdimensionale volldigitale Sportuhr mit allerlei Zusatzfunktionen wie Stoppuhr, Strecken-, Tiefen-, Höhen- und Geschwindigkeitsmesser und meckert: „Bitte sei ein bisschen pünktlicher, Carlotta. Das Training beginnt um drei, und zwar für alle!“ Er deutet auf das einzige Boot, das noch am Ufer liegt.
So was Blödes!, denkt Carlotta. Jetzt muss ich das Teil auch noch schleppen!
Mühsam hebt sie den schmalen Einer auf der einen Seite an, während Herr Dunker die andere Seite nimmt und ihr hilft, das Boot zum See zu tragen. Anschließend trabt Carlotta zum Bootshaus, um die Ruder zu holen.
Als sie zurückkommt, stöhnt sie laut auf. Ihr Boot treibt ein ganzes Stück vom Steg entfernt munter auf den Wellen.
„Kann es sein, dass du vergessen hast, dein Boot am Steg festzumachen?“, fragt Herr Dunker vorwurfsvoll. Er nimmt einen langen Bootshaken und zieht das Ruderboot mit einiger Mühe an den Steg zurück. „Carlotta“, sagt er und schüttelt traurig den Kopf. „So geht das aber nicht.“
„Ich weiß.“ Carlotta schluckt. „Entschuldigung, es wird nicht wieder vorkommen.“
Herr Dunker seufzt und hilft ihr, in das kippelige Boot zu steigen. Dann reicht er ihr die Riemen und gibt dem Einer einen kleinen Stoß.
„Danke“, murmelt Carlotta zerknirscht, während sie die Ruder ungeschickt sortiert und in ihre Halterungen an den Auslegern legt.
Als sie draußen auf dem See ist, würde sie am liebsten losheulen. Nicht nur, dass ihr schrecklich klamm und kalt ist, nein, sie ist auch enttäuscht von sich selbst. Nur gut, dass Papa nicht sehen kann, wie blöd sie sich beim Rudern anstellt! Bestimmt wäre er auch enttäuscht. Aber muss der Spargel denn auch alles so bierernst nehmen? Carlotta hat das Gefühl, als wollte der Sportlehrer zukünftige Olympiateilnehmer heranzüchten, so verbissen zieht er das Training durch.
Mit Brendan hat er wahrscheinlich auch schon einen geeigneten Kandidaten gefunden, denkt Carlotta grimmig. Der ist total ehrgeizig und außerdem ein Naturtalent – im Gegensatz zu mir … Nur leider wird er irgendwann für Australien an den Olympischen Spielen teilnehmen und nicht für das Internat Prinzensee. Sie versucht angestrengt, einigermaßen geradeaus zu rudern und dabei dem Uferbewuchs nicht zu nahe zu kommen.
Aber irgendwie scheint die Strömung heute stärker zu sein als sonst, und der Wind weht dazu noch frisch von der Seite. Carlottas Boot wird immer näher ans Ufer gedrückt, sosehr sie sich auch bemüht, dagegen anzurudern. Ihr ist bitterkalt und die Hände tun ihr weh. Der Rücken tut ihr auch weh. Ach, eigentlich tut ihr alles weh. Und Heimweh hat sie auch.
„Ich will nach Hause“, schnieft sie trotzig gegen den Wind. „Sofort! In mein richtiges Zuhause – mit Mama und Papa und meinem Kinderzimmer! So wie’s früher war. Dieses beknackte Internat wird niemals mein Zuhause sein. Ich hasse es! Ich hasse es! Und Rudern hasse ich auch!“
„Carlotta Prinz!“, ertönt in diesem Augenblick die Spargelstimme. „Du befindest dich in der geschützten Uferzone!“
Carlotta wischt sich die Tränen aus den Augen und wirft einen genervten Blick über die Schulter. Der Sportlehrer umkreist mit seinem kleinen Motorboot, das er mit einer Hand steuert, eine Boje. In der anderen Hand hält er ein Megafon, durch das er seine Anweisungen blökt.
„Carlotta Prinz, hörst du mich? Komm sofort aus dem Schilf heraus!“, schallt es über den See.
„Wie denn, du Scherzkeks?!“, grummelt Carlotta zurück.
Eines ihrer Ruderblätter hat sich im Schilf verfangen. Das Boot nimmt eine bedrohliche Schräglage ein. Wasser schwappt herein. Wäre die Lage nicht so ernst, das Wasser nicht so eiskalt und sie nicht so verzweifelt, würde sie laut lachen.
Zu allem Überfluss entschließt sich der Himmel genau in diesem Moment, seine Schleusen zu öffnen. Ein heftiger Regenschauer prasselt auf den See nieder und durchweicht Carlotta bis auf die Knochen. Sie weiß nicht, ob sie heulen oder lachen soll. Eigentlich könnte sie auch gleich ins Wasser springen und baden, überlegt sie, so nass wie sie ist.
„Himmel, Hölle und Wolkenbruch!“, kommt ein deftiger Fluch vom Ufer. „Muss das denn ausgerechnet jetzt lospladdern?“
Ein Angler in gelbem Ölzeug packt hastig sein Angelzeug zusammen und sucht unter einem Baum Schutz vor dem Regenguss. Seine
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