Internat auf Probe
über Manu noch über Jonas. Fast täglich werden Tests und Arbeiten geschrieben, und für Bio und Erdkunde muss sie Referate vorbereiten. Dazu das Rudertraining, das regelmäßige Joggen und der Besuch des Kraftraums jede Woche … Carlotta kommt sich schon vor wie ein Hamster im Laufrad.
Der Kraftraum ist in einem Nebengebäude der Sporthalle untergebracht und mit modernen Geräten ausgestattet, an denen man sämtliche Muskelgruppen trainieren kann. Zusätzlich gibt es jede Menge Hanteln, Eisenstangen, Springseile und Heimtrainer. An den Wänden hängen große Spiegel, in denen man die Bewegungsabläufe kontrollieren und seine wachsenden Muskeln bewundern kann.
Bestimmt toll, wenn man vorhat, Gewichtheberin zu werden, denkt Carlotta. Aber eindeutig nichts für mich. Wenn sie vorher gewusst hätte, wo sie überall Muskeln hat und wie weh die tun können, wenn man mit Gewichten trainiert, hätte sie niemals damit angefangen.
Als ein kleines Päckchen mit einem Brief und der wöchentlichen Gummibärchenration von Katie kommt, freut sie sich. Endlich eine positive Abwechslung! Aufgeregt fängt sie an zu lesen, während sie sich ein paar Gummibärchen zwischen die Zähne schiebt:
Hi Carlotta, danke für Deinen Brief! Ich find’s super von Dir, dass Du nicht sauer bist, dass Pia jetzt neben mir sitzt. Ich hab ihr natürlich gesagt, dass es eh nur für dieses eine Schuljahr ist und dass Du nächstes Schuljahr zurückkommst und sowieso meine allerbeste Freundin bist und bleibst. Zuerst war sie ein bisschen muffelig, aber dann hat sie’s eingesehen, glaub ich.
Wie geht’s Dir denn so? Manno, der Stress mit dieser Manu und dieser Sofie ist ja ätzend! Du tust mir echt leid! Ich hab mal ein Buch über ein Internat gelesen, in dem es genauso war wie bei Euch, dass die Mädchen sich zuerst nicht ausstehen konnten, aber zum Schluss waren sie dann die besten Freundinnen und haben den Lehrern und den Jungs Streiche gespielt. Soll ich Dir das Buch mal ausleihen?
Beste Freundinnen im Internat? Carlotta lässt den Brief sinken und stöhnt auf. So ein Blödsinn! So was gibt’s doch nur in Büchern!
„Das ist mal wieder ein Beweis dafür, dass Schriftsteller keine Ahnung vom wirklichen Leben haben“, murmelt sie und pickt sich drei weiße Gummibärchen aus der Tüte. „In Wirklichkeit läuft das total anders. Katie und ihre dämlichen Internatsgeschichten, typisch …“
Mit gerunzelter Stirn liest sie weiter.
Katie betont, wie sehr sie sie vermisst, und erwähnt, dass sie mit Pia im Kino war und dass sie sich zum Geburtstag einen Hund wünscht. Zum Schluss schreibt sie:
Mehr fällt mir heute nicht ein. Schreib mir doch mal zurück, ob ich Dir das Internatsbuch leihen soll. Ich kann’s Dir ja mit der nächsten Gummibärchentüte schicken. Mach’s gut und schreib schnell zurück!
Hdgdl, Deine beste Freundin Katie
Carlotta will den Brief schon weglegen, als sie sieht, dass auf der Rückseite noch etwas steht:
PS: Ich glaub, ich schick Dir das Buch doch nicht. Für das eine Schuljahr lohnt es sich eigentlich gar nicht, sich mit den anderen anzufreunden, oder? Wie sind denn die Lehrer so? Und die Jungs?? Macht das Rudern Spaß? Mir wär das viel zu anstrengend, glaub ich!
Noch mal Tschüssi und bis bald, Deine Katie!
Grinsend faltet Carlotta den Brief zusammen und schiebt ihn in den Umschlag zurück. Katie hat absolut Recht: Es lohnt sich wirklich nicht, sich in Prinzensee mit jemandem anzufreunden. In einem Jahr ist Papa wieder da. Bis dahin muss sie die Zähne zusammenbeißen und Manu und Sofie so gut es geht aus dem Weg gehen.
Leider wird Carlotta fast ständig daran erinnert, dass es mit dem Aus-dem-Weg-Gehen gar nicht so einfach ist. Trotz mehrerer Ermahnungen und Strafarbeiten schafft Manu es nicht, in ihrem gemeinsamen Zimmer Ordnung zu halten. Carlotta ist zwar selbst auch nicht die Ordentlichste und lässt gerne mal etwas liegen, aber Manu ist die ungekrönte Chaosqueen. Nicht nur, dass sie überall ihre Sachen verstreut, sie liebt es auch, eine breite Spur von Schokoriegelpapier, leeren Chipstüten und Colaflaschen hinter sich herzuziehen.
Anfangs hat Sofie noch hinter ihr hergeräumt, den Müll in den gemeinsamen Papierkorb geworfen und den vollen Korb demonstrativ auf Manus Schreibtisch gestellt, aber inzwischen hat sie es aufgegeben. Besonders, seit Manu eine Vorliebe für merkwürdig riechende Knabbersachen entwickelt hat, die sie in ihrem Kleiderschrank aufbewahrt und streng unter Verschluss
Weitere Kostenlose Bücher