Internat auf Probe
Stimme kommt Carlotta sehr bekannt vor.
„Jonas!“, ruft sie. „Bist du das?“
Jonas’ grinsendes Gesicht taucht unter einer riesigen Kapuze auf. „Ach, nee“, lacht er. „Bist du heute zur Abwechslung mal als Wassergeist unterwegs?“
„Witzig! Darf ich später kichern?“ Carlotta zeigt auf ihr festsitzendes Ruderblatt. „Kannst du mal versuchen, ob du das loskriegst? Sonst sitz ich morgen früh noch hier!“
„Null Problemo!“ Jonas hat hohe Gummistiefel an. Ohne zu zögern, watet er in das flache Wasser und hat das Ruder in null Komma nix befreit. „Sonst noch was? Die Seenotrettung verständigen? Oder das Boot ausschöpfen vielleicht?“
Carlotta schüttelt den Kopf. „Danke für das Angebot. Ein anderes Mal vielleicht.“
Vom See kommt ein lautes Tuten. Der Spargel bricht die Unterrichtsstunde ab – endlich!
„Ich muss los.“ Carlotta stößt sich rückwärts mit den Ruderblättern ab und beeilt sich, zu den anderen zu kommen. „Tschüss, und vielen Dank!“
„Da nicht für“, grinst Jonas. „Bin gespannt, aus welcher Patsche ich dich nächstes Mal retten muss.“ Fröhlich winkend stellt er sich wieder unter seinen Baum und pfeift ein Lied.
„Am Sonnabend treffen wir uns zur Bootspflege“, verkündet Herr Dunker, als seine durchweichte Mannschaft im Bootshaus sitzt und das Wasser aus den Schuhen kippt. Carlotta läuft ein eiskaltes Rinnsal aus den Haaren in die Augen. Aber die anderen sehen auch nicht viel besser aus, stellt sie fest. Hannes und Felix lassen die Köpfe hängen wie zwei begossene Pudel. Eins der Mädchen hat sich einen Handtuchturban um den Kopf geschlungen, Brendan hat sich eine halbwegs trockene Trainingsjacke um die Schultern gelegt. Alle bibbern leise vor sich hin.
„Bitte seid pünktlich um zwei Uhr am Steg“, sagt der Spargel. „In wenigen Wochen finden die ersten Ausscheidungsregatten für die Juniorenklasse statt. Bis dahin habe ich zwei zusätzliche Trainingsstunden pro Woche angesetzt.“
Carlotta zuckt zusammen. Das wären ja drei Stunden Rudern jede Woche! Dazu noch Joggen und Krafttraining! Und dann noch Bootspflege und Regatten an den Wochenenden? Unmerklich schüttelt sie den Kopf. Das ist ganz ausgeschlossen!
Wenn man es liebt, in einem wackligen Einbaum zu sitzen und übers Wasser zu gleiten, denkt Carlotta, okay, dann ist es einem die Sache sicher wert, die gesamte Freizeit dafür zu opfern. Aber sonst? Sie hatte ja keine Ahnung, dass eine AG derart in Stress ausarten kann!
„Ich muss am Wochenende zwei Referate ausarbeiten“, meldet sie sich tapfer zu Wort. „Ich glaub nicht, dass ich kommen kann.“
Sie niest zweimal hintereinander.
Herr Dunker zieht die Augenbrauen zusammen.
„Du hast dich verbindlich für die Ruder-AG eingetragen, Carlotta“, sagt er ernst. „Hast du dich denn nicht vorher darüber informiert, was damit einhergeht? Hast du nicht mit deinem Vater darüber gesprochen? Rudern ist ein sehr zeitaufwändiger Sport. Wenn man ihn ernsthaft und erfolgreich betreiben will, muss man bereit sein, einiges dafür zu opfern.“ Er macht eine Pause und fügt hinzu: „Seine Freizeit und die Wochenenden zum Beispiel, um nur zwei Dinge zu nennen.“
Brendan nickt. „Of course“, stimmt er seinem Trainer zu.
Die anderen gucken Carlotta an und warten auf ihre Antwort.
„Aber es ging alles so schnell!“, bricht es aus ihr heraus. „Ich hatte gar keine Zeit, richtig darüber nachzudenken. Mein Vater ist nicht da, ich konnte ihn nicht fragen. Und Sie haben gesagt, ich kann es erst mal ausprobieren.“ Sie senkt den Kopf und sagt leise: „Ich dachte, es soll Spaß machen.“
„Macht es doch auch“, sagt das ältere Mädchen mit dem Handtuchturban verwundert.
Carlotta schüttelt den Kopf. „Dir vielleicht, mir nicht. Ich hab’s mir ganz anders vorgestellt. Und außerdem … so gut wie mein Vater werde ich sowieso nie.“
So, denkt sie und niest noch einmal. Endlich ist es raus!
„Ach, herrje“, murmelt Herr Dunker. „Was machen wir denn da?“ Er kommt einen Schritt auf Carlotta zu und legt ihr eine Hand auf die Schulter.
„Ich kann verstehen, dass Sie sauer auf mich sind“, setzt Carlotta an, aber der Sportlehrer unterbricht sie sofort.
„Es geht hier nicht um mich“, sagt er, „sondern um dich. Wenn du in der Ruder-AG so unglücklich bist, ist es wirklich nicht der richtige Sport für dich. Ehrlich gesagt, glaube ich auch, dass dir das nötige Talent fehlt. Tut mir leid, dass ich dir das sagen muss, aber
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