Internat auf Probe
Kleiderhaufen neben ihrem Bett, wie Carlotta im Lichtschein eines Blitzes für Millisekunden erkennen kann.
„Was hast du vor?“ Carlotta blinzelt, um zu sehen, was Manu da macht. Leider vergeblich; außer wenn kurz ein Blitz aufleuchtet, kann sie kaum die Hand vor Augen sehen.
„Ich geh raus“, murmelt Manu, während sie in Jeans und Pulli schlüpft.
„Was!?“ Die Härchen auf Carlottas Unterarmen richten sich einzeln auf. „Spinnst du?“
„Jepp“, kommt die Antwort. „Aber mach dir nichts draus, das liegt in meiner Familie.“ Ein leises Kichern im Dunkeln, das Knarren einer Schranktür. Manu wühlt in ihrem Schrank. Sofort zieht ein strenger Geruch durchs Zimmer. Carlotta hält sich schnell die Decke vor den Mund und atmet flach ein und aus.
„Mon Dieu!“, stöhnt Sofie und richtet sich auf. „Was ist los?“
„Pscht!“, macht Manu. Eine Tüte raschelt, als sie die Schranktür wieder zumacht. „Schlaf weiter!“
Carlotta ist inzwischen glockenwach. An den Gewittersturm, der in unverminderter Stärke tobt und wütet, verschwendet sie keinen Gedanken mehr. „Mensch, Manu! Du kannst doch jetzt nicht da raus! Das ist viel zu gefährlich!“
„Pah!“, entgegnet Manu. Carlotta kann hören, dass sie in ihre Stiefel steigt und einen Anorak überzieht. „Das bisschen Wind und Regen … Ich bin doch nicht aus Zucker!“
Jetzt reicht’s!, denkt Carlotta. Mit einer energischen Handbewegung knipst sie ihr Nachttischlämpchen an. Das Licht blendet sie. „Du hast sie doch nicht mehr alle!“, faucht sie in die Richtung, in der sie Manu vermutet, während sie angestrengt blinzelt. „Wenn dir nun ein Baum auf den Kopf knallt!“
„Könnte schmerzhaft sein.“ Manu lacht leise. „Aber Unkraut vergeht nicht.“
Endlich kann Carlotta etwas sehen. Manu steht vollkommen angezogen an der Tür. Ihre Hand liegt schon auf der Klinke.
Sofie sitzt in ihrem Bett, das Haar wirr auf den Schultern, und starrt sie an, als wäre sie eine Erscheinung. „Was hast du vor, mitten in der Nacht?“, haucht sie.
„Einen Spaziergang machen“, knurrt Carlotta.
„Bingo!“, grinst Manu. „Und jetzt, ihr Süßen“, sie drückt die Türklinke hinunter, „legt euch wieder hin und macht artig euer Nickerchen. Tante Manu ist gleich wieder da. Tschüss!“
Als sie aus dem Zimmer schlüpft und die Tür hinter sich zuzieht, sieht Carlotta, dass sie eine Tüte unter dem Arm hat. Was da wohl drin ist? Und vor allem: Wo will sie damit hin, im Dunkeln, bei Sturm und Gewitter? Oh, Mann!
„Ich verstehe das nicht.“ Sofie schüttelt den Kopf. „Was hat das dumme Mädchen denn nur vor in diesem Brausesturm?“
„Es heißt Sturmgebraus“, verbessert Carlotta sie und fügt leise hinzu: „Wenn ich das nur wüsste …“
Manu hat sich regenfest angezogen, das heißt, sie will wirklich raus. Aber warum denn nur?
Manu hat ein Geheimnis, so viel ist klar. Aber es hat nichts mit nächtlichem Luftschnappen oder geheimen Fressorgien zu tun. Es muss etwas Wichtigeres sein, etwas viel Wichtigeres. Sonst würde sie nicht so viel dafür riskieren.
Carlotta fällt das alte Gewächshaus ein. Was es damit wohl auf sich hat? Ist Manu vielleicht auf dem Weg dorthin?
Eine besonders heftige Windböe rüttelt am Fenster. Über Carlottas Rücken kriecht eine Gänsehaut und lässt sie zittern. Das ist wirklich eine 1a Nacht für Vampire! So richtig schön gruselig mit allem Drum und Dran. Oder haben Vampire Angst vor Regen?
„Ich glaub, wir sollten ihr besser hinterhergehen“, sagt sie und steigt aus dem Bett. „Sie ist ganz allein in dem Unwetter. Falls ihr was passiert, wird niemand sie finden.“
Zu ihrem Erstaunen nickt Sofie sofort.
„Oui“, sagt sie und schlägt entschlossen die Bettdecke zurück. „Du hast Recht! Wir müssen auf die dumme Manu aufpassen und sie zurückholen, bevor etwas geschieht.“
Carlotta starrt sie verblüfft an.
„Was ist?“, fragt Sofie und bindet sich blitzschnell die langen Haare zu einem Zopf zusammen, bevor sie Jeans und einen dicken Rollkragenpullover über ihr Nachthemd zieht.
„Nichts“, grinst Carlotta und schnappt sich ihren Pulli. „Ich wundere mich nur.“
Als sie durch die langen, nur notdürftig beleuchteten Gänge des Internats huschen, fragt Carlotta sich, wie sie überhaupt aus dem Schloss herauskommen sollen. Nachts sind alle Eingangstüren fest verschlossen. Aber auch darauf hat Sofie eine Antwort. „Wir gehen durch den Vorratsraum“, raunt sie Carlotta zu. „Da gibt
Weitere Kostenlose Bücher