Internat Lindenberg - Achtung, es spukt
neuen Schule ist immer schwierig. Aber mittags heimgehen zu können, um Eltern und Geschwistern zu erzählen, was man erlebt hat, macht die Sache nun mal einfacher. Seine Familie dagegen monatelang nicht mehr zu sehen, kann ganz schön heftig sein. Obwohl man natürlich zugeben musste, dass die Schule alles tat, um Heimweh erst gar nicht aufkommen zu lassen. Zwischen Unterricht, Hausaufgabenbetreuung, Sport, Kunst, Theater und anderen Arbeitsgemeinschaften hatte man gar nicht viel Zeit, über sein Unglück nachzudenken. Frau Behrens hatte ihr damals gesagt, in vierzehn Tagen hätte sie sich eingelebt, was Leonie nicht glauben wollte. Aber als Frau Behrens nach dieser Frist nachgefragt hatte, musste sie ihr Recht geben. Denn was das Wichtigste war: Sie war nicht allein hier. Es hatte keine zwei Wochen gedauert und sie hatte ihre besten Freundinnen kennengelernt.
Aber wo blieben die jetzt? Leonie ging zur Tür, um noch einmal nachzusehen.
Gefolgt von zwei Erwachsenen mit Koffern in den Händen stakste eine schlanke Gestalt in einem langen, zartrosa Markenregenmantel mit einem großen farblich darauf abgestimmten Markenregenschirm in der Hand auf die verglaste Eingangstür zu. Hilfsbereit hielt Leonie die schwere Tür auf.
Kaum hatte die rosa Gestalt Leonie wahrgenommen, klappte sie ein paarmal hektisch den Regenschirm auf und zu. Leonie hatte keine Chance zu reagieren. Sie bekam eine ordentliche Ladung Wasser auf Gesicht und Sweatshirt ab. Während sie sich das Wasser aus den Augen rieb, flötete eine nur zu gut bekannte Stimme auf sie ein. „Oh, Leonie, das tut mir leid!“, hörte sie Angelika Ecker sagen. „Ich habe dich gar nicht gesehen.“ Die zwei Erwachsenen in Angelikas Schlepptau taten so, als hätten sie nichts bemerkt, und nickten Leonie kurz zu.
Das hatte Leonie fast vergessen. Wo gute Freundinnen waren, gab es auch das Gegenteil. Und Angelika Ecker war nun mal die boshafteste Zicke zwischen Nord- und Bodensee. Leonie packte die kalte Wut. Angelika hatte sie so überrumpelt, dass sie längst schon wieder weg war, ehe sie selbst auch nur Piep sagen konnte.
Was gibt es Neues?
„Bist du aber nass geworden!“, riss eine kichernde Stimme Leonie aus ihrem Ärger.
Leonie lag bereits eine patzige Bemerkung auf den Lippen, da fiel ihr auf, dass sie die Stimme kannte. Jubelnd fiel sie ihrer Zimmergenossin Hanna um den Hals. Hanna war nicht nur ihre Mitbewohnerin, sondern dazu auch ihre beste Freundin. Das galt auch umgekehrt, zumindest wenn man Hannas Pferde nicht mitzählte. Obwohl ihre Eltern Piloten bei einer großen Fluglinie waren, gehörte Hanna nicht zu denen, die mit dem Flugzeug anreisten. Bis jetzt hatten es ihre Eltern immer geschafft, sie höchstpersönlich abzuliefern.
Die beiden Mädchen kamen nicht dazu, sich viel zu erzählen, denn nur einen Augenblick später erschien auch ihre Freundin Sophie in der Aula. Sophie war schon gestern eingetroffen und hatte ihr Zimmer bereits wieder bezogen. Leonie und Hanna begrüßten sie mit einem Küsschen und sahen sie fragend an. Fast gleichzeitig platzte es aus ihnen heraus: „Wo ist Nina?“
Nina war Sophies Mitbewohnerin und ihre beste Freundin. Hatten Ninas Eltern ihre Ankündigung wahr gemacht und sie tatsächlich von der Schule genommen? Das durfte einfach nicht wahr sein. Ninas Vater war Ingenieur und wurde von seiner Firma ständig zu neuen Projekten in die ganze Welt geschickt. Nina hatte ihre Eltern jahrelang in immer neue Länder begleitet und immer neue Schulen besucht, bis sie letztes Jahr in Lindenberg gelandet war. Aber neuerdings bemühte sich ihr Vater um eine feste Stelle in Deutschland. Damit wäre es für Nina nicht mehr nötig gewesen, in ein Internat zu gehen. Dabei war sie diejenige, die am meisten an Lindenberg hing. Doch plötzlich zeigte Hanna nach draußen.
Ein Auto fuhr mit hohem Tempo in den Innenhof. Ohne den Motor abzuschalten, sprang der Fahrer heraus, riss die hintere Tür auf und warf Nina mehr hinaus, als dass er ihr half. Er zerrte das Gepäck aus dem Kofferraum und stellte es auf den Kies, gab Nina noch ein hastiges Küsschen, sprang wieder in seinen Wagen und raste davon. Nina blickte ihm hinterher. Das war mal wieder typisch ihr Vater! Er musste sofort zum Flughafen und zurück auf seine Baustelle, der Flieger wartete nicht.
Zum Glück hatte Nina keine Zeit, traurig zu sein, denn ihre Freundinnen stürzten sich bereits mit lautem Jubel auf sie.
Angelika Ecker beobachtete das Wiedersehen der vier Freundinnen
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