Internet – Segen oder Fluch
Elefanten. In diesem Kontext dürfte es besonders ängstliche Charaktere beruhigen, dass selbst die vieltausendjährige Abhängigkeit von Tieren als lebenden Arbeitsmaschinen nicht die Herrschaft der Tiere über uns gebracht hat, wenn man von der offensichtlichen Supermacht der Hauskatzen [109] einmal absieht.
Mit der Arbeitsteilung begann aber nicht nur die Zivilisation, sondern eben auch die Sorge um Abhängigkeit. Die Furcht vor der Maschinenherrschaft ist insofern die direkte Folge der Arbeitsteilung. Denn Arbeitsteilung bedeutet automatisch Kontrollverlust [26] , das gilt zwischen Menschen ebenso wie zwischen Mensch und Maschine. Je länger zum Beispiel ein Paar zusammenlebt, desto stärker werden die Tätigkeiten nach Fähigkeiten aufgeteilt. Was wiederum zu noch größerer Abhängigkeit führt, weil die eine Seite trainiert, was auf der anderen Seite verkümmert.
Innerhalb der Diskussion lassen sich drei typische Positionen ausmachen. Erstens die manufactumhafte Distanzierung vom Fortschritt (Flucht nach hinten). Zweitens die ständige Verbesserung der Technologie als Lösung für alle Probleme (Flucht nach vorn). Oder aber drittens das Eingeständnis, dass die Zivilisation so viele Schichten von Abhängigkeiten aufeinandergestapelt hat, dass es eine Illusion wäre, nur die jüngste, oberste – das Internet – zu entfernen (gar keine Flucht). Das mag nicht das angenehmste Argument sein, aber jede neue Schicht erschien in den letzten 100 Jahren als ähnlich umfassend und erschreckend. Bevor man sich schließlich daran gewöhnte oder beruhigenderweise aus den Augen verlor, dass eine Großstadt ohne ein paar stromerzeugende Turbinen bloß ein Haufen kalter Steintürme ist. Von Einstein ist der Satz bekannt: «Wenn die Bienen verschwinden, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben.» Wenn aber die Maschinen verschwinden, dürfte dieser Zeitraum eher in Monaten gemessen werden, zumindest für sehr, sehr viele Menschen. Details können Spezialisten der Nahrungsmittellogistik und der Trinkwasserversorgung berechnen.
Um zur besseren Verständigung auch den Technologiebegeisterten begreiflich zu machen, wie sich eine ständig drohende Maschinenherrschaft anfühlen mag, hilft ein definitorischer Kniff. Lewis Mumford, Soziologe, Philosoph und Universalgelehrter für neuzeitliche Angelegenheiten, hat den Mythos der Maschine untersucht, den Einfluss der Maschine im Lauf der Geschichte. Nach seiner Ansicht kann man die gesamte Zivilisation als Megamaschine verstehen. Die technikorientierte Kultur, die unsere Gesellschaft am Laufen hält, habe selbst eine maschinenhafte Struktur. So sei zu erklären, warum in der Antike mit den Pyramiden oder dem römischen Straßen- und Brückennetz Leistungen vollbracht worden seien, die heute eigentlich nur maschinell, industriell für möglich gehalten würden. Unsere gesellschaftliche Organisationsform ist für Mumford die Maschine, und die Bürokratie ist ihr Getriebe. Die Furcht vor der Herrschaft der Maschine entspricht ihrem Wesen nach also der Furcht vor einem bürokratischen Machtapparat. Eine politische Maschinenherrschaft ist derzeit eher unwahrscheinlich, eine politische Herrschaft jener Maschinerie, die wir Verwaltung nennen, ist längst Realität. Die Furcht vor den Mühlen des Amtes kann selbst der technologiebegeistertste Nerd nachvollziehen.
Um den Technologieskeptikern die Sichtweise der anderen Seite zu verdeutlichen, muss man die Frage stellen, was die Maschine eigentlich für das Individuum bedeutet. Marshall McLuhan spricht von der Technologie als «Extension of Man», einer Erweiterung des Menschen, und beginnt dabei explizit mit der «zweiten Haut», zählt also selbst Kleidung dazu. Für die Anhänger der Maschine bedeutet Technologie damit Schutz und Freiheit, weil sie die Abwehrfähigkeit und den Aktionsradius erweitert. Mit der sozialen Technologie, die das Internet bereitstellt, verhält es sich nicht anders.
Die Diskutanten können sich auf die nächste Eskalationsstufe freuen, die sich bereits am Horizont abzeichnet. Der Tag ist nah, an dem «Extension of Man» wörtlich verstanden werden kann und die Maschine mit dem Menschen verschmilzt. Der Schatzmeister der Piratenpartei in Berlin, Enno Park, bezeichnet sich selbst mit nur minimaler Koketterie als Cyborg, weil er ein sogenanntes Cochlea-Implantat trägt; ein kleiner Computer mit Mikrophon ist direkt an seinen Hörnerv angeschlossen. Im Mai 2012 veröffentlichte die
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