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Internet – Segen oder Fluch

Internet – Segen oder Fluch

Titel: Internet – Segen oder Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Sascha Lobo
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Harvard-Absolvent und Berkeley-Dozent für Mathematik war davon überzeugt, dass der Teufel Technologie die Gesellschaft fest in seinem vernichtenden Griff habe und unbedingt aufs schärfste bekämpft werden müsse. Er selbst fing schon mal damit an, indem er 1970 in eine Elf-Quadratmeter-Holzhütte in den Bergen von Montana umzog. Um dann zwischen 1978 und 1995 diverse Briefbomben an die von ihm identifizierten Stellvertreter der maschinellen Apokalypse zu verschicken, nämlich Wissenschaftler und Vorstände von Fluglinien. Da kein ordentlicher Konzeptmörder ohne erläuterndes Manifest auskommt, schickte er 1995 der
New York Times
und der
Washington Post
knapp 150  Buchseiten mit seinen Gedanken zu Technik und Gesellschaft. Kaczynski beschrieb, auf welche Weise die Technologie insgesamt der Freiheit der Gesellschaft entgegenstehe: «Es ist unmöglich, einen DAUERHAFTEN Kompromiss zwischen Technologie und Freiheit zu finden, weil Technologie als weitaus stärkerer gesellschaftlicher Zwang mit Hilfe von IMMER NEUEN Kompromissen andauernd in die Freiheit eingreift. […] Technologie wird sich gegen alle Widerstände ihren Weg bahnen, immer größere Kontrolle über die Menschen gewinnen und sie mehr und mehr vom System abhängig machen.» [108]
    Das Unabomber-Manifest unterscheidet sich von einem handelsüblichen Feuilletonbeitrag eigentlich nur durch die vielen Großbuchstaben. In seinem Buch «What Technology Wants» ( 2010 ) überschreibt Kevin Kelly ein Kapitel sogar mit «Der Unabomber hatte recht». Als Mitgründer der Zeitschrift
Wired
der leichtfertigen Technologiekritik eher unverdächtig, hat Kelly den Begriff «Technium» erfunden. Technium steht für die Gesamtheit aller Technologie. Die erste Kleidung, der erste Faustkeil, die ersten Bewässerungsvorrichtungen wie etwa den Ziehbrunnen, all das zählt Kelly zum Technium, zur sich ständig weiterentwickelnden Technologie, die gleichzeitig die Menschheit voranbringt, jedoch um den Preis der fortschreitenden Abhängigkeit. Kelly schreibt dem Technium ein Eigenleben zu, er stellt die Frage, ab wann dieses Eigenleben ein Bewusstsein entwickelt und ob das nicht längst der Fall sein könnte. Und er fragt schließlich, ob dieses technische Bewusstsein nicht den Menschen mindestens so sehr beherrsche wie der Mensch das Technium. Kelly sieht trotz dieser Abhängigkeit die Zukunft der Technologie recht hoffnungsfroh, weil er eine Art Gleichgewicht der Mächte des seligmachenden Fortschritts erkennt: Maschinen und Menschen in friedlicher, sich gegenseitig bereichernder Koexistenz.
     
    Neben denen, die die Herrschaft der Maschinen drohen sehen, und denjenigen, die sie eben nicht drohen sehen, lässt sich eine dritte, diffuse Gruppe ausmachen: diejenigen, die sich die Maschinenherrschaft herbeiwünschen. Der Mathematiker Claude Elwood Shannon schuf 1949 mit seiner Arbeit «Eine mathematische Theorie der Kommunikation» die Grundlage für die Informationstheorie. Darin schrieb er: «Ich kann mir eine Zeit vorstellen, in der wir für Roboter das sind, was heute Hunde für Menschen sind. Und ich bin auf der Seite der Maschinen.» Shannon entwickelte die intellektuelle Basis für die Sprache der Maschinen, damit hat er die digitale Revolution vorangetrieben, das Internet mit ermöglicht und der Furcht vor einer Roboterherrschaft eine ganz neue Dimension verliehen.
    Seine Metapher ist aufschlussreich: der Hund als erster nonhumanoider Handlanger, als tierische Hilfsmaschine des Menschen. An diesem Beispiel lässt sich auch beobachten, wie das Werkzeug seinen Verwender verändert. Im Mai 2012 veröffentlichte der
American Scientist
einen Artikel des emeritierten Anthropologie-Professors Pat Shipman, der darin die These aufstellte, dass der Hund die Ursache für die Überlegenheit des Homo sapiens gegenüber dem Neandertaler gewesen sei. Diese Spur führt zum Kern der Debatte um die Herrschaft der Maschine, zur Arbeitsteilung und ihren Folgen. Die Domestizierung des Wolfs war eine der ersten Entscheidungen des Menschen, nicht alles selbst zu machen. Der Beginn der zivilisierten Gesellschaft war der Moment, in dem sich die Arbeitsteilung bewährte. Es ist für den Zivilisationsteilnehmer in den letzten 10 000  Jahren selbstverständlich geworden, die eigenen, beschränkten Fähigkeiten durch Tiere und Geräte zu ergänzen, durch den Geruchssinn des Hundes, die Kraft des Hebels, die Geschwindigkeit des Pferdes, die Stetigkeit des Uhrwerks, die Alpentauglichkeit von

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