Internet – Segen oder Fluch
Science-Fiction-Filmen der letzten dreißig Jahre – von
Terminator I, II , III
bis
Matrix I, II , III
– ist die Herrschaft der Maschinen eine zentrale Schreckensvision. Dieses psychologisch offenbar tiefsitzende Problem kennt zwei Ausprägungen: die totale, aber unbemerkte Abhängigkeit des Menschen von der Maschine (wie in
Matrix
) – und der offene Krieg der Maschinen gegen die Menschen (wie in
Terminator
). Ob Abhängigkeit, Tyrannei oder eine Mischform, die Beziehungen zwischen Mensch und Maschine sind ein wesentlicher Teil der Diskussion um Hochtechnologie, Vernetzung und Internet. Die grundsätzlichen Streitfragen dahinter lauten: Vergrößert oder beschränkt die Maschine die menschliche Freiheit? Kann die Maschine den Menschen würdig ergänzen – oder ist sie sein seelenloses Gegenstück, womöglich gar sein Feind? Wie viel Maschine steckt im Menschen, wie viel Mensch in der Maschine? Aus den Antworten auf diese Fragen folgt, welche kulturellen, gesellschaftlichen, menschlichen Funktionen man der Maschine übertragen kann oder darf, ohne gleich die Maschinenherrschaft herbeizuführen. Die Welt beschäftigt sich schon eine Weile damit.
Der chinesische Gelehrte Zhuangzi verfasste gegen Ende des vierten Jahrhunderts vor Christus eines der Hauptwerke des Daoismus, «Das wahre Buch vom südlichen Blütenland» [106] . Im Kapitel
Der Ziehbrunnen
erklärt ein alter Mann, weshalb er das Feld von Hand wässert, statt die Apparatur des Ziehbrunnens zu benutzen: «Wenn einer Maschinen benützt, so betreibt er all seine Geschäfte maschinenmäßig; wer seine Geschäfte maschinenmäßig betreibt, der bekommt ein Maschinenherz. Wenn einer aber ein Maschinenherz in der Brust hat, dem geht die reine Einfalt verloren. Bei wem die reine Einfalt hin ist, der wird ungewiss in den Regungen seines Geistes. Ungewissheit in den Regungen des Geistes ist etwas, das sich mit dem wahren Sinne nicht verträgt. Nicht dass ich solche Dinge nicht kennte: ich schäme mich, sie anzuwenden.»
Zwar ist recht unwahrscheinlich, dass Zhuangzi Albträume von der Unterdrückung der Menschheit durch gefühllose, brutale Ziehbrunnen plagten. Aber der Mensch lässt sich durch die Benutzung von Maschinen stärker prägen, als er sich eingestehen möchte. Und damit ist eine Vorstufe der Maschinenherrschaft erreicht: die Herrschaft der Menschen mit Maschinenherz [25] . Das sind all diejenigen, die an die Überlegenheit des Rationalen, an die messbare Eindeutigkeit der Welt und an die technische Lösbarkeit sozialer Probleme glauben. Wenn in Diskussionen der Vorwurf der Technikgläubigkeit aufkommt, ist vom Maschinenherz die Rede, nur eben mit einem weniger schönen Wort.
Dieser Konflikt ist ein Klassiker, vielleicht hat er die älteste Vorgeschichte der in diesem Buch behandelten Technikstreitigkeiten. Zhuangzis Daoismus ist eine unordentliche, mystische Religion, sie handelt vom Wandel und vom natürlichen Wachstum, und die ihr anhängenden Philosophen fanden es lachhaft, aktiv nach «Weltverbesserung» zu streben. Der Weise lässt geschehen, anstatt sich in das Wirken des Dao einzumischen. Der Gegenentwurf, die Lehre für Freunde des Ziehbrunnens, war der Konfuzianismus, eine Philosophie voll klarer und aufgeräumter Ideen, gut geeignet für Staatsdoktrinen, autoritäre Systeme und präzisionsbegeisterte Ingenieure.
Wer bereit ist, großzügig über sämtliche Details, feine Unterschiede und trennende Jahrhunderte hinwegzusehen, erkennt hier fast baugleich das westliche Gegensatzpaar Aufklärung und Romantik. Der Aufklärer vertraut auf rationale Methoden und glaubt an den Fortschritt, während der Romantiker die Versprechungen des Aufklärers für gefährlichen Mumpitz hält. Er wird darauf hinweisen [107] , dass die Aufklärung speziell in der Sonderform des Technikoptimismus durch ihre Lösungen ständig neue Probleme schafft, die sie dann mit noch mehr Technik vergeblich zu bewältigen versucht. Und selbst wenn alles gutgeht, ist die aufgeklärte, rationale Welt für den Romantiker so nackt und kahl wie ein Stahlbetonparkhaus auf der Rückseite des Mondes.
Eine diskussionshinderliche Fehleinschätzung vieler Aufgeklärter ist, dass Romantiker keine Ahnung von Technologie hätten. Im Gegenteil gibt es zahlreiche Fälle, in denen gerade das Verständnis ein tiefes Misstrauen gegenüber der Maschinenwelt hervorbringt. Die Extremposition der romantischen Haltung fand sich bei Theodore Kaczynski, dem «Unabomber». Der ehemalige
Weitere Kostenlose Bücher