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Internet – Segen oder Fluch

Internet – Segen oder Fluch

Titel: Internet – Segen oder Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Sascha Lobo
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Internetskeptikervögeln einfach alles noch einmal ganz langsam und geduldig zu erklären und damit die Streitereien rund um das Netz endlich beizulegen.
    Hinter dieser Annahme steckt ein Versagen der Vorstellungskraft beziehungsweise des Vorstellungswillens: Mangelhafte Kenntnis der Tatsachen sei der einzig denkbare Grund dafür, dass jemand eine andere Meinung vertreten könnte als die eigene. Das ist auf einem Gebiet, auf dem man noch vor sehr kurzer Zeit Politiker öffentlich darüber rätseln hören konnte, was wohl ein Browser sei, zwar nachvollziehbar, aber trotzdem falsch. Konflikte entspringen nur selten dem einfachen Mangel an Informationen. Ernsthafte Konflikte entspringen überhaupt recht selten Ursachen, zu denen das Adjektiv «einfach» passt. Und noch seltener lässt sich das, was zur Schlichtung erforderlich wäre, mit diesem Wort beschreiben.
    Außerdem glaubt die gegnerische Seite mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls, sie habe sich nur noch nicht ausreichend verständlich gemacht. Nach einer Weile erliegen dann beide Seiten dem Irrglauben, es sei offensichtlich böser Wille, dass der Kontrahent immer noch nichts begreifen wolle, und deshalb dürfe man ruhig zu immer schrofferen und extremeren Argumenten greifen. Das ist ähnlich erfolgversprechend wie die Strategie, schlecht Deutsch verstehenden Ausländern den Weg zum Bahnhof einfach immer lauter zu erklären.
    Dieses Kapitel widmet sich deshalb noch keinen konkreten Technikfragen, sondern den grundsätzlichen Verständigungsproblemen – speziell denen zwischen Technologieoptimisten und Technologieskeptikern. Die Auseinandersetzungen um das Internet entstehen nicht dadurch, dass die Menschen auf einer Seite der Debatte nur noch nicht genug wissen. Dabei handelt es sich bloß um das bequemste Argument, weil es die Lokalisierung des Problems und mögliche Lösung gleich ab Werk eingebaut hat. Genauso wenig aber werden sich die Konflikte auflösen, weil die neuen Techniken und Gebräuche als unnützer Tand erkannt werden und wieder aus der Mode kommen. An ihre Stelle treten dann ja nicht wieder die vorigen Zustände, sondern noch neuere, noch unverschämtere Zumutungen.
    Auch Max Planck hatte nicht die Lösung gefunden, als er schrieb: «Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, dass ihre Gegner allmählich aussterben und dass die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.» Plancks Darstellung stimmt zum einen schon in der Wissenschaftswelt nicht ganz, denn dort gelingt es immer wieder, sich zwar mühsam, aber doch zu Lebzeiten vieler Beteiligter auf ein neues Paradigma zu verständigen. Zum anderen beruht Plancks These auf der Vorstellung einer immer näher rückenden universellen «Wahrheit». Diese Idee ist in der Wissenschaft heute zumindest stark umstritten. Und im Unterschied zur öffentlichen Technikfolgendiskussion gibt es in der Wissenschaft ein zwar keineswegs perfektes, aber doch einigermaßen funktionierendes, formalisiertes System zur Einigung darüber, welche Behauptungen vorerst vom Tisch sind. Es kann nicht mehr jeder in ernstzunehmenden Medien eine Verteidigung des Phlogistons [2] oder neue Theorien über ein geozentrisches Weltbild veröffentlichen.
    Das ist bei den in diesem Buch behandelten Meinungsverschiedenheiten anders. Die nachwachsenden Diskussionsteilnehmer mögen mit bestimmten Ausprägungen des Neuen vertraut sein, aber die Auseinandersetzungen über neue Technologien und soziale Praktiken hören dadurch nicht auf. Wer im 19 . Jahrhundert davon ausging, mit dem Ableben einer Generation würden auch die Klagen über Beschleunigung und Informationsüberflutung durch die Telegraphie verschwinden, der täuschte sich. Die Symptome verschieben sich an eine andere Stelle, aber die Konflikte dahinter bleiben bestehen – vielleicht nicht ewig, aber zumindest so lange, dass einfaches Abwarten für keinen heute lebenden Menschen eine Lösung darstellt.
    Zu den Hoffnungen auf eine einfache Lösung gehört auch die Vorstellung, man könne einen Konflikt durch Technik zum Verschwinden bringen. Der Informatiker Joseph Weizenbaum nennt in seinem 1976 erschienenen Buch «Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft» ein Beispiel: «Zur Zeit der Studentenunruhen an den amerikanischen Universitäten konnte man oft von wohlwollenden Rednern hören, die Unruhe,

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