Internet – Segen oder Fluch
zumindest die an der eigenen Universität, sei hauptsächlich auf eine ungenügende Kommunikation zwischen den verschiedenen Teilen der Universität zurückzuführen, z.B. den Fakultäten, Fachschaften, der Administration usw. Somit wurde das ‹Problem› im Prinzip unter dem Aspekt der Kommunikation, d.h. als technisches gesehen. Aus diesem Grund konnte es mit technischen Mitteln gelöst werden, indem man z.B. verschiedene ‹heiße Drähte› etwa zwischen den Büros des Präsidenten und der Dekane legte.» In diesem Fall geht es um die etablierte Technik des Telefons, eine häufige Variante ist die Ankündigung, gerade frisch erfundene oder in naher Zukunft zu erwartende Technologien könnten den Konflikt aus der Welt schaffen.
Tatsächlich ist es in Einzelfällen möglich, soziale Probleme mit rein technischen Mitteln zu lösen. Die Verdrängung der Metallzahnpastatuben durch nicht knitternde Plastiktuben war das Ende des Beziehungsstreits um die Frage, ob die Zahnpasta ordentlich vom Tubenende her ausgedrückt werden muss oder man auch mal auf die Mitte drücken darf, wodurch die Tube vor der Zeit faltig wird. Hinter dem Streit steckt die Frage, was im Leben wichtiger ist: Aufmerksamkeit für kleinste Details (denn ohne sie gäbe es keine schön anzusehende Apple-Hardware) oder die Fähigkeit, an der richtigen Stelle und im rechten Moment Großzügigkeit walten zu lassen.
Vielleicht war die Zahnpastatube der einzige Konfliktanlass in einer ansonsten harmonischen Beziehung. Dann wäre die Plastiktube tatsächlich eine technische Lösung für ein soziales Problem. Wahrscheinlicher ist aber, dass die zerknitterte Tube nur einer von vielen möglichen Kristallisationskeimen des Streits war und dass sich die Diskussion nach ihrem Verschwinden aus dem Badezimmer auf das Thema Apple-Hardware verlagerte. Oder auf die Frage, wer eigentlich die Tube immer so schlampig hinlegt, anstatt sie auf den Deckel zu stellen.
Hinter der Vorstellung, eine Meinungsverschiedenheit beruhe lediglich auf Kommunikationsschwierigkeiten oder anderen technisch lösbaren Problemen, steckt die Annahme, es gebe gar keinen realen Konflikt zwischen den Beteiligten. Diese Annahme aber ist in den meisten Fällen mit dem Wort «Wunschdenken» noch schmeichelhaft umschrieben. Die von Weizenbaum angeführten Studentenunruhen beruhten auf echten Interessenkonflikten, und nicht anders verhält es sich mit den heutigen Diskussionen um die Folgen der Digitalisierung. Solange man sich nicht eingesteht, dass diese unterschiedlichen Interessen existieren, führt kein Weg zu einer einvernehmlichen Lösung oder wenigstens friedlichen Koexistenz.
Bei solchen Interessen geht es zum einen oft ganz schnöde ums Geldverdienen: Neue Entwicklungen gefährden den eigenen Arbeitsplatz. Mal ist die ganze Branche bedroht, mal konkurrieren eine alte und eine neue Strategie innerhalb derselben Firma, und man muss ganz konkret den eigenen Arbeitsplatz verteidigen. Eine mindestens ebenso große Rolle spielt das Selbstbild der Beteiligten. Niemand lässt sich gern öffentlich für nutzlos erklären, erst recht nicht von Leuten, denen das angeblich nutzlose Feld unbekannt, egal oder eine Mischung aus beidem ist. Aber Loblieder auf eine neue Technologie sind schwer zu singen, ohne dass darin nicht mindestens zwischen den Zeilen diejenigen schlecht wegkommen, die noch auf die Vorgängertechnik setzen.
Die Diskussion des Konflikts bringt ein weiteres Problem mit sich. Viele Interessengruppen und Einzelpersonen profitieren von Extrempositionen stärker als von einer entspannten Erläuterung der Neuerungen. Sachbuchautoren und Journalisten erhalten für alarmistische Thesen oder goldene Zukunftsvisionen mehr Aufmerksamkeit als für sachliche Aufklärung. Lobbygruppen und Institutionen können durch Verweis auf die Gefahren oder Chancen der neuen Technologien mehr Geld vom Staat und von anderen Geldgebern einwerben. Die Optimisten nutzen die Gelegenheit, sich moderner, jünger, angstfreier und zukunftszugewandter darzustellen, die Skeptiker sehen verantwortungsbewusster, kritischer und erwachsener aus. Wenn der eigene Lebensunterhalt oder das Selbstverständnis von der Meinung abhängen, die man über das Internet hegt, wird der Austausch von Argumenten zumindest kurzfristig wenig an dieser Meinung ändern.
Eine weitere verständigungshemmende Idee ist die Vorstellung eines digitalen Grabens, der die Welt in zwei klar unterschiedene Kulturen teilt. Vor wenigen Jahren
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