Internet – Segen oder Fluch
schützen – das unterstütze ich. Generell ist es so, dass die Nutzer meist vereinzelt auftreten, während sich die Industrie in Verbänden zusammenschließt und auf diese Weise ihre Interessen organisiert. Daher denke ich auch, dass der Konsumentenschutz den Gesetzgeber braucht.»
Freiheit durch Kontrolle – das hört sich nur im ersten Augenblick widersinnig an. Tatsächlich mündeten ungefähr 2500 Jahre Freiheitsphilosophie in der Erkenntnis, dass sich Freiheit in einer Gesellschaft nur innerhalb eines kontrollierten Rahmens entfalten kann. Das war einigen Akteuren zwischendurch nur entfallen. Das Korsett dieser Kontrolle kann enger oder weiter sein, aber am Ende nutzt die ganze schöne Freiheit ohne entsprechende Sicherheit nichts – so wenig wie umgekehrt. «Wer Sicherheit der Freiheit vorzieht, ist zu Recht ein Sklave», soll Aristoteles gesagt haben, und von Benjamin Franklin ist überliefert: «Wer Freiheit eintauscht für zeitweilige Sicherheit, verdient weder Freiheit noch Sicherheit.» Mit beiden Zitaten wird oft und gern im Netz um sich geschlagen, wenn es um den Kampf gegen tatsächliche oder vermeintliche Einschränkungen geht. Diese radikalen Haltungen könnten sich als gefährlich erweisen, weil sie die ständig zu erneuernde Abwägung zwischen beiden Werten außer Acht lassen. Wer Freiheit und Sicherheit nicht als Ergebnis dauernder gesellschaftlicher Verhandlung begreift, sondern als Gegensätze, gerät fast automatisch in ein demokratisches Dilemma. Eine Abstimmung innerhalb der Netzgemeinde würde sicherlich eine 104 -prozentige Mehrheit für die Erhaltung der offenen Strukturen ergeben. Wenn die entsprechenden Fragen den Wählern gestellt würden, könnte sich ein anderes Bild ergeben. Vielleicht nimmt das Volk ein paar Netzsperren oder ähnliche unfreiheitliche Instrumente gern für das Gefühl der Sicherheit in Kauf, gerade auch wegen der Kinder. Und man könnte es dem Volk kaum verübeln, immerhin handelt es sich um den Souverän. Eine zielführende Diskussion darf daher nicht Sicherheit und Freiheit gegeneinander ausspielen, sondern muss versuchen, beides geschmeidig miteinander zu vereinbaren. Was genauso kompliziert sein dürfte, wie es sich auch anhört. Aber einer der Gründe für dieses Buch ist ja, dass die Lösungen für die Internetfragen eben nicht einfach sind.
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12. Die Nackten und die Daten
Privatsphäre und digitaler Datenfluss
Im Traum hatten meine Träume Zugangsberechtigungen. Ihr glaubt nicht, wie oft ich heute schon auf ‹für alle freigeben› geklickt habe.
@rinpaku, Twitter, 7 . Januar 2010
1973 erschien im
Spiegel
unter dem Titel « 100445301111 – das Schlimmste von King Kong?» ein umfangreicher Report über den «Vormarsch der elektronischen Datenverarbeitung ( EDV )». Darin hieß es: «Computerbekannt wie die Weltanschauung von Millionen Bundesbürgern sind Details aus ihrer Arbeitswelt und ihrer Freizeit: Wo sie ihren Urlaub verbracht haben, wie viel Miete sie zahlen, ob sie oft oder selten den Arbeitsplatz wechseln, ob sie ihren Teilzahlungsverpflichtungen regelmäßig nachkommen, ob sie an Krebs leiden, welche Schallplatten sie lieben, ob sie Alimente zahlen müssen, wie viel Kubikmeter Wasser sie pro Monat verbrauchen, ob sie eine Mischehe führen, welche Farbe ihre Augen haben, welchen Wagentyp sie bevorzugen und ob sie eine arabische Großmutter haben – es ist gespeichert in den EDV -Anlagen von Reiseunternehmen – Kreditinstituten, Arbeitsbehörden, Versandhäusern, Universitätskliniken, Schallplattenringen, Banken, Stadtwerken, Rathäusern, Eheanbahnungsfirmen, im Flensburger Kraftfahrt-Bundesamt und im Kölner Ausländerzentralregister.»
Anlass für diesen Beitrag waren zwei Gesetzesentwürfe, über die das Parlament damals beriet, das Bundesmeldegesetz, das jedem Bürger ein zwölfstelliges Personenkennzeichen zuordnen sollte, und das Bundes-Datenschutzgesetz [70] . Fast alle Elemente der heutigen Datenschutzdiskussion sind in diesem Artikel bereits enthalten, auch wenn die Computer noch Denk-Roboter heißen und sich «on line» über das «Telefon-, Telex- und Datexnetz» miteinander verständigen. «Mancher Computer-Philosoph» träumte damals ebenso wie heute von einer Zukunftsgesellschaft, in der «nicht nur, wie in Schweden, die Gehälter, sondern auch das Intimleben offengelegt werden könnte, weil der Mensch sein Menschsein nicht mehr zu verbergen brauche». Unter Juristen jedoch hielt man einen gewissen
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