Internet – Segen oder Fluch
Facebook ja noch viel intimere Daten preis, und das bisschen Datenhunger des Staates könne damit ja wohl kein Problem sein. Viele Angebote im Netz sind nur deshalb kostenlos, weil die jeweiligen Anbieter die Nutzerdaten selbst für zielgruppenspezifische Werbung nutzen oder anonymisiert [73] an andere Unternehmen weiterverkaufen. Aus Datenschützerperspektive sind ihre Nutzer kurzsichtige Geschöpfe, die gedankenlos einer Mode folgen oder auch nur zu faul sind, sich gegen die Entwicklung aufzulehnen. Dadurch weichen sie das Konzept der Privatsphäre auf und schaffen Realitäten, die mittelfristig allen zum Schaden gereichen. Für ein paar Punkte in einem Bonuskartensystem oder die Teilnahme am bunten Facebookglück verkaufen diese Gimpel unser Recht auf Privatsphäre an die Industrie, so der Vorwurf. Und sie wissen noch nicht einmal, was sie da tun: In Umfragen zeigt sich immer wieder, dass den Nutzern gar nicht klar ist, was Regierungen und Unternehmen alles mit diesen freiwillig preisgegebenen Daten anfangen.
In dieser Frage scheiden sich die Gemüter anhand des jeweiligen Menschenbildes. Wer glaubt, dass die Nutzer sich wie eine Schafherde ohne Sinn und Verstand benehmen, wird im Bereich der Privatsphäre die Aufklärung für ein geeignetes Gegenmittel halten. Wenn die Leute bloß wüssten, was sie täten, so seufzen Datenschützer traditioneller Bauart im Verein mit den Aktivisten des Chaos Computer Clubs. Diese Position zieht den Wunsch nach offensiver Durchsetzung des herkömmlichen Datenschutz-Verständnisses nach sich. Die erwähnten CCC -Mitglieder Constanze Kurz und Frank Rieger haben dazu 2011 ein Buch mit programmatischem Titel geschrieben: «Die Datenfresser – Wie Internetfirmen und Staat sich unsere persönlichen Daten einverleiben und wie wir die Kontrolle darüber zurückerlangen». Kurz und Rieger möchten darin «den Weg zu einer neuen digitalen Mündigkeit» weisen. Schon 2008 hatte der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, mit seinem Buch «Das Ende der Privatsphäre – Der Weg in die Überwachungsgesellschaft» eine ähnliche Richtung eingeschlagen. Auch er fordert mehr selbstverantwortliches Handeln, kombiniert mit schärferen oder zumindest umfassenderen Gesetzen. Sein mehrfach variierter Aufruf im Buch aber, «Es ist höchste Zeit, dass wir aufwachen», zeigt, dass er wie Rieger und Kurz Datenschutz hauptsächlich als Problem der Unwissenheit im Volke betrachtet, «Nur wenn sich die Gesellschaft und der Einzelne der Gefahren bewusst werden, wird die notwendige Umkehr erfolgen».
Diese Sichtweise erscheint zwar angesichts des überschaubaren durchschnittlichen Informationsstandes in der Bevölkerung durchaus legitim. Sie birgt aber die Gefahr der Arroganz und der oft mit ihr einhergehenden Neigung, anderen Leuten Vorschriften zu machen mit der Begründung, sie hätten keine Ahnung und es sei ja nur zu ihrem Besten. Freiheit heißt aber auch, sich für oder gegen die Nutzung von Social Networks entscheiden zu können, ohne vorher einen Volkshochschulkurs «Facebooken für Anfänger» belegt zu haben. Angesichts der Komplexität von Facebook ist Mark Zuckerberg vermutlich der einzige Nutzer, der
wirklich
einschätzen kann, ob und wie welche persönlichen Daten wofür verwendet werden. Allen anderen Nutzern könnte man nach Lust und Laune Datenfahrlässigkeit vorwerfen. Wenn das auch nur den geringsten Sinn hätte.
Wer seinen Mitmenschen dagegen ein zwar nicht immer auf den ersten Blick durchschaubares, aber im Grunde rationales Verhalten unterstellt, wird in etwa folgendermaßen argumentieren: Das Internet hat sich nicht deshalb mit privaten und privatesten Angelegenheiten gefüllt, weil alle Nutzer dumm und fahrlässig handeln. Sondern weil die Leute etwas davon haben. Wenn das Handy darüber Auskunft geben kann, welche Nahverkehrsverbindung gerade am günstigsten ist, weil es weiß, an welcher Straßenecke der Handybesitzer gerade steht, dann werden viele Nutzer dafür gern und bewusst mit ihren persönlichen Daten anstatt mit Geld bezahlen.
Wenn das aber so ist, wird sich die Hoffnung nicht erfüllen, die Erosion der Privatsphäre ließe sich durch eine Erziehung der Bürger zur «Datensparsamkeit» eindämmen. Einzelne werden solche Ermahnungen vielleicht beherzigen, aber es ist eine Illusion, dass eine Mehrheit so handeln wird – der spürbare, alltägliche Nutzen ist zu groß, die möglichen künftigen Gefahren sind zu abstrakt. Aufklärungskampagnen des Staates
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