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Internet – Segen oder Fluch

Internet – Segen oder Fluch

Titel: Internet – Segen oder Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Sascha Lobo
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Schutz der Privatsphäre sehr wohl für nötig, auch wenn diese Privatsphäre ein wandelbares Konzept und juristisch noch nie exakt abzugrenzen gewesen sei. Heikle Daten waren auch 1973 nur selten ausreichend gesichert, die Gefahr von Enthüllungen – mal aus Böswilligkeit, öfter aus Fahrlässigkeit – wuchs, und unablässig entstanden neue Datenbanken. Der Verfassungsschutz erfasste «biographische und ortsbezogene Grunddaten» der Bürger, und die Datenbestände auf den Computern der Privatwirtschaft waren kaum weniger umfangreich als die staatlichen Sammlungen. Waren die Daten erst einmal erhoben, neigten die zuständigen Stellen dazu, sie so lange zu speichern und mit anderen Daten zu verknüpfen, bis ein richterlicher Beschluss sie daran hinderte.
    In anderen Punkten ist der
Spiegel
-Report nicht ganz aktuell: 1973 wurden nur wenige Zahlungen bargeldlos abgewickelt. Wenn sich das eines Tages änderte, «dann könnte es, so der EDV -Jurist Seidel, sogar möglich sein, dass ‹über eine Datenbank ermittelt wird, wer die Miete des Mädchens im Appartement nebenan bezahlt hat, wer am Dienstagabend im Night-Club verkehrte, welche Geschäfte jemand betreten hat und welche Dienstleistungen in Anspruch genommen wurden› – der Bürger werde dann ‹in der Tat transparent›». Auch «Datenbank-Überfälle» durch das «organisierte Verbrechertum», «raffinierte Schnüffelprogramme» von Geheimdiensten und Firmen, die «Daten gegen Dollar» anbieten, waren noch Zukunftsvisionen. Im Unterschied zu heute enthält der Artikel auch keine Vorwürfe an die Staatsbürger. Sie hatten zu den Datensammlungen schließlich ganz arglos beigetragen, indem sie an Preisausschreiben teilnahmen, Bankkonten führten, Kredite beantragten oder die Formulare, die Behörden, Universitäten und Versicherungen ihnen vorlegten, wahrheitsgemäß ausfüllten. Wenn sie Einblicke in ihre Privatsphäre gewährten, dann, weil man sie danach befragt hatte: «An Berufsschülern werden Psycho-Tests vorgenommen, deren Fragen tief in die Privatsphäre reichen – Beispiel: ‹Ich denke zu viel über geschlechtliche Dinge nach.›»
     
    Vor der 1983 geplanten Volkszählung kam es zu massiven Protesten samt Verfassungsbeschwerden, schließlich verbot das Bundesverfassungsgericht die Volkszählung in seinem berühmt gewordenen Urteil, das das «Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung» formulierte. Der Widerstand der Bevölkerung bediente sich der Symbolik des bevorstehenden Orwell-Jahres 1984 und wurde angefacht vom Beschluss der Regierung, maschinenlesbare Personalausweise einzuführen. Der Computer wurde zum Sinnbild für den «Überwachungsstaat», das Schreckensbild des «Gläsernen Bürgers» mobilisierte Hunderte Bürgerinitiativen. Als schließlich 1987 eine modifizierte Volkszählung stattfand, wäre ein Schlagwort wie «Datenkrake» sofort mit dem Staat und seinen Organen in Verbindung gebracht worden.
    Im Laufe der neunziger Jahre verschoben sich die Fronten. Nicht nur Berufsschüler offenbarten im Netz ungefragt, dass sie recht viel über geschlechtliche Dinge nachdachten, und die Datensammlungen privater Unternehmen wuchsen noch schneller als die staatlichen. Datenschützern geht es in letzter Zeit wesentlich weniger darum, den Bürger vor dem Staat zu schützen, was rund um die Volkszählung ihr wichtigstes Ziel gewesen war. «Ich habe zunehmend den Eindruck, dass der Bürger vor allen Dingen vor sich selbst geschützt werden muss», wurde Bundesjustizministerin Brigitte Zypries 2007 im
Spiegel
zitiert [71] . Außerdem möchten Staat und Datenschützer gern gemeinsam gegen die Datensammelwünsche der Unternehmen vorgehen.
    Das bringt mehrere Probleme mit sich, die man zur Erscheinungszeit des
Spiegel
-Artikels noch kaum ahnen konnte. Weil im Internet tätige Unternehmen ihren Sitz selten in Deutschland haben, kann der deutsche Staat nicht ohne weiteres deren Rechte einschränken. Das deutsche Datenschutzrecht gilt schon im Inland als stark reformbedürftig, weil es sich an den Erfordernissen der siebziger Jahre orientiert. Für ein internationales Übereinkommen müsste man sich zusätzlich auf gemeinsame Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte verständigen, Rechte, die bisher ganz unterschiedlich ausgelegt und gehandhabt werden. Ein Eintrag zu «Datenschutz» existiert in der Wikipedia nur in sechs Sprachen, «Datenschutzrecht» in zehn. Zum Vergleich: «Patentrecht» gibt es in 57  Sprachen, selbst «Ampelmännchen» kommt

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