Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod
Erwartungen, Fragen, Sorgen und Leid.
Diese Welt gibt es.
In dir.
Und zu dieser Welt habe selbst ich keinen Zugang.
Du lieferst mir mit dieser Aussage ein gutes Stichwort. Du bist mir ganz zu Beginn unseres Gespräches ausgewichen, als ich dich fragte: Gibt es eine Seele? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Jetzt will ich es wissen, jetzt musst du mir Rede und Antwort stehen.
Das werde ich. Nur lass uns eine kleine Pause machen.
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Wie seltsam doch die Wege des Lebens verlaufen. Ich hatte mich schon seit Jahrzehnten mit Tod und Sterben beschäftigt – und dann führte mich eine enge Freundschaft noch näher an diese Thematik heran. Ende der 90er Jahre lernte ich durch meine alte Schulfreundin Hella von Sinnen Cornelia Scheel kennen, die Adoptiv-Tochter des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Walter Scheel. Schnell entwickelte sich eine vertrauensvolle Beziehung zwischen uns beiden, was dazu führte, dass Cornelia mir viel über ihre 1985 verstorbene Mutter Mildred Scheel erzählte. Ich war gleichermaßen beeindruckt und fasziniert.
Zwar hatte ich die Frau des Bundespräsidenten schon zu Lebzeiten hoch geschätzt, aber sie war eben nur eine ferne Prominente gewesen, die ich lediglich aus dem Fernsehen kannte. Nun aber wurde sie für mich auch privat greifbar und ihr großes Lebenswerk erschien mir in einem noch helleren Licht.
1974 gründete Mildred Scheel die Deutsche Krebshilfe und wurde zu einer der bekanntesten und angesehensten Frauen der Nachkriegszeit. Ihr Wirken ist so nachhaltig, dass ihr Name auch noch zukünftigen Generationen ein Begriff sein wird.
Neben der Gründung der Krebshilfe gehört zu den
herausragenden Verdiensten Mildred Scheels, dass sie 1983 zusammen mit dem Chirurgen Professor Heinz Pichlmaier die erste deutsche Palliativstation in der Kölner Universitätsklinik eröffnete. Später wurde daraus das Dr. Mildred Scheel Haus, ein überschaubarer Gebäudekomplex mitten auf dem Gelände des Universitätsklinikums, errichtet und gefördert von der Deutschen Krebshilfe. Das Haus beherbergt fünfzehn Krankenzimmer, eine Ambulanz und die Dr. Mildred Scheel Akademie für Forschung und Bildung.
Bevor ich weitererzähle, möchte ich an dieser Stelle kurz den Begriff Palliativmedizin erklären. Seit Jahren erlebe ich sowohl im privaten Umfeld als auch im Rahmen meiner allnächtlichen Arbeit, dass die meisten Menschen das Wort nicht verstehen und nicht wissen, was sich genau dahinter verbirgt. Ich finde das äußerst bedauerlich, da es meines Erachtens für todkranke Patienten nichts Besseres gibt als die palliativmedizinische Betreuung. Was also steckt hinter diesem schwierigen und akademischen Wort Palliativmedizin ?
Sterben ohne Schmerzen, Respekt vor dem Patienten, humane Medizin und ehrenamtliches Engagement. Diese Schlagwörter fallen mir zunächst ein. Konkret bedeutet das: Auf einer Palliativstation werden Menschen betreut und behandelt, die an einer schweren und weit fortgeschrittenen Erkrankung leiden und nur
noch eine begrenzte Lebenserwartung haben. Diese Patienten sind in der Regel »austherapiert«, das heißt, es gibt keine Hoffnung mehr auf Heilung und Genesung. Im Vordergrund der palliativmedizinischen Behandlung steht nicht die Verlängerung des Lebens um jeden Preis, sondern die Verbesserung der Lebensqualität des Betroffenen. Dabei spielt die bestmögliche Schmerztherapie eine entscheidende Rolle.
Selbst Patienten mit schwersten Tumorerkrankungen kann in den meisten Fällen geholfen werden, so dass die letzten Tage oder Wochen ihres Lebens weitgehend schmerzfrei verlaufen. Darüber hinaus bemühen sich die Ärzte, Schwestern und ehrenamtlichen Betreuer, dem Menschen in seiner Gesamtheit gerecht zu werden. Sowohl in medizinischer als auch in psychologischer und seelsorgerischer Hinsicht.
Es geht darum, den Gesamtzustand des Patienten zu stabilisieren. Zum Beispiel durch gezielte Maßnahmen gegen Übelkeit, Luftnot, Erbrechen, Angst oder Juckreiz, aber auch durch menschliche Zuwendung und schlichtweg durch Zeit, die die Mitarbeiter mit dem Schwerstkranken verbringen. Auf Palliativstationen herrscht weder Hektik noch Stress. Es sind friedliche Orte ohne Angst machende Gerätemedizin und ohne Ärzte, die ihr persönliches Erfolgserlebnis darin sehen, einen nicht mehr zu rettenden Menschen schier endlos künstlich am Leben zu erhalten.
Mildred Scheel, von Haus aus selbst Ärztin, hatte in ihren aktiven beruflichen Jahren das Sterbeelend in deutschen Krankenhäusern
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