Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod
miterlebt. Der Tod wurde versteckt. Der Tod war der Feind des Arztes. Der Tod wurde aufs Äußerste bekämpft, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse und den Zustand des Patienten. War der Kampf verloren, wurden die Sterbenden nicht selten in Badezimmer oder Abstellkammern geschoben, damit bloß niemand etwas von der Schande des bald eintretenden Todes mitbekam. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was die armen Menschen damals, so sie noch bei Sinnen waren, in ihren letzten Stunden empfanden. Besonders, wenn keine Angehörigen bei ihnen waren und sie allein zwischen abgestellten Gerätschaften, Putzeimern und Urinflaschen dem Tod entgegentreten mussten.
All das war Mildred Scheel ein Gräuel. Sie wollte in Deutschland, nach englischem und kanadischem Vorbild, eine neue Kultur im Umgang mit Todkranken und Sterbenden etablieren. Die Palliativstation der Universitätsklinik Köln, das Dr. Mildred Scheel Haus , war der Anfang. Heute gibt es in der Bundesrepublik weit über dreihundert Palliativstationen und stationäre Hospize. Was jedoch ist ein Hospiz? Etwas Ähnliches wie eine Palliativstation? Worin besteht der Unterschied? Wer sollte sich für ein Hospiz entscheiden? Wer für eine Palliativstation? Welche ist die
bessere Einrichtung? Fragen, mit denen ich auch in meiner Sendung immer wieder konfrontiert werde – und die Antworten darauf sind nicht unbedingt leicht. Dennoch werde ich auf sie eingehen, möchte aber zunächst von meinem ersten Besuch im Dr. Mildred Scheel Haus berichten.
Ich war durch die Erzählungen von Cornelia Scheel so neugierig geworden, dass ich dieses Haus unbedingt einmal sehen wollte. Wir beschlossen, zusammen dorthinzugehen. Und ich muss zugeben, mir war etwas mulmig zumute. Hatte ich doch zuvor noch nie gezielt einen Ort aufgesucht, wo das Sterben im Mittelpunkt des Geschehens stand. Wir verabredeten uns am Haupteingang der Kölner Universitätsklinik und ich glaube, beide waren wir etwas angespannt. Für Cornelia bedeutete dieser Besuch eine Begegnung mit ihrer Vergangenheit, denn sie war seit Jahren nicht mehr dort gewesen, und viele Erinnerungen an ihre verstorbene Mutter wurden wach.
Die erste große Überraschung für mich war der Anblick des Dr. Mildred Scheel Hauses. Es befindet sich quasi im Innenhof der Uniklinik, ist ein freistehendes, freundlich anmutendes Gebäude und besitzt einen separaten Eingang. Wir betraten eine eigenständige kleine Welt, inmitten des Klinikgroßbetriebes. Cornelia hatte uns ein paar Tage zuvor telefonisch bei der damaligen Leiterin der Palliativstation angemeldet,
die uns dann auch durchs Haus führte. Und nun sah ich all die Einzelheiten und Details, die für Mildred Scheel so wichtig gewesen waren und von denen Cornelia mir erzählt hatte. Ein Krankenzimmer war an diesem Tag nicht belegt und so konnten wir alles in Ruhe begutachten.
Auf den ersten Blick erinnerte mich der Raum eher an ein Sanatorium als an ein Krankenhaus. Ich sah eine Couch, eine Stehlampe, zwei kleine Sessel, einen Tisch und ein Schränkchen. Nur das Bett war eindeutig ein Krankenbett. Übrigens sind alle Zimmer im Dr. Mildred Scheel Haus Einzelzimmer, es wird kein Unterschied zwischen Privatpatient und Kassenpatient gemacht.
Bleiben wir zunächst bei dem Bett. Mildred Scheel hatte das besondere Anliegen, dass jeder Schwerstkranke oder Sterbende von seinem Bett aus in liegender Position den Himmel sehen können soll. Entsprechend wurden die Räume konzipiert. Neben jedem Bett befindet sich unterhalb der Zimmerdecke ein Fenster, das genau diesen Blick nach draußen ermöglicht. Im behindertengerechten Badezimmer machte mich Cornelia auf ein weiteres Detail aufmerksam: ein kleines Springrollo vor dem Spiegel über dem Waschbecken. Es ist gedacht für Menschen mit weit fortgeschrittenem Gesichtskrebs, die sich und ihre Entstellungen während des Waschens nicht sehen möchten.
Da die Station ebenerdig gebaut ist, gibt es vor jedem Krankenzimmer eine Terrasse, die in eine kleine Gartenanlage mit Springbrunnen übergeht. Ich unterstreiche noch einmal: Wir befinden uns auf dem Gelände einer Universitätsklinik inmitten einer Großstadt. Als ich bei meinem ersten Besuch damals nach draußen auf die Terrasse ging, hatte ich das Gefühl, eine kleine beschauliche Oase zu betreten. Nach den Wünschen von Mildred Scheel ist alles so gebaut und gestaltet worden, dass die Krankenbetten mühelos auf die Terrasse gerollt werden können, und dass jeder Patient durch entsprechend hohe
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