Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod
und anschließend meine Hand hält. Und ich möchte nicht, dass mir als Schwerkranker noch eine weite Auto- oder Bahnreise zugemutet wird, um in einem fremden Land, in fremder Umgebung die Gnade des Todes zu erfahren.
Meine Angst vor Sterben und Tod ist nicht allein auf die Ungewissheit zurückzuführen, was mich denn nun nach dem letzten Atemzug erwartet. Meine Angst wird auch sehr von der Sorge genährt, vor dem Ende furchtbar leiden zu müssen und unter Umständen völlig hilflos in einem Pflegebett zu liegen. Natürlich kann man heute einiges über Patientenverfügungen regeln und eine gewisse Vorsorge treffen. Das aber reicht mir nicht. Es gibt Krankheitsverläufe, die so dramatisch sind, dass sie trotz bester Schmerztherapie und der klaren Willensbekundung des Patienten in unvorstellbarem Leid und Elend münden, ohne dass der erlösende Tod rasch eintritt. Ich habe mit vielen Betroffenen gesprochen – nie möchte ich Derartiges am eigenen Leib erleben müssen. Ich glaube meine Angst vor dem Sterben wäre um einiges geringer, wenn ich die Gewissheit hätte, definitiv auf das Recht zurückgreifen zu können, an einem bestimmten Punkt
zu sagen: Erlöst mich. Ich will nicht mehr. Schenkt mir den Tod.
Vielleicht würde ich dieses Recht, das Recht auf meinen eigenen Tod, niemals in Anspruch nehmen – aber zu wissen, es existiert, hätte eine ungemein beruhigende Wirkung auf mich.
Viele Umfragen belegen, dass die überwältigende Mehrheit der Deutschen genauso denkt und argumentiert. Was sich übrigens auch in meinen Sendungen widerspiegelt. Umso erstaunlicher finde ich, wie schwer sich die Parteien, die Sozialverbände, die Ärzteschaft und allen voran die Kirchen mit dieser Thematik tun. Da wird zunächst immer auf die deutsche Vergangenheit und die Euthanasie-Verbrechen der Nationalsozialisten verwiesen, was ich, gelinde gesagt, eine Unverschämtheit finde. Ich möchte als Befürworter der aktiven Sterbehilfe nicht in Verbindung gebracht werden mit den Nazis. Es gibt nicht die geringste inhaltliche Nähe zwischen der Euthanasie, wie die Nationalsozialisten sie praktiziert haben, und den Aspekten der Sterbehilfe, wie sie heute diskutiert werden. Damals wurden behinderte Menschen systematisch ermordet, weil sie in den Augen der NS-Machthaber »unwertes Leben« darstellten. Es handelte sich also um einen Gewaltakt des Staates. Bei der Sterbehilfe entscheidet ein Einzelner, auf der Grundlage streng formulierter Gesetze, über sich selbst und sein eigenes Schicksal.
Ein gewichtiges Argument der Sterbehilfegegner ist die Sorge vor Missbrauch: Sehr kranke Menschen könnten von ihren Angehörigen massiv unter Druck gesetzt werden, ihr Leben frühzeitig zu beenden. Weil man vielleicht der Pflege überdrüssig ist oder auf eine lukrative Erbschaft schielt. Auch bestünde die Gefahr, so die Kritiker, dass Menschen allzu leichtfertig und schnell nach Sterbehilfe rufen würden, wenn noch gar nicht alle schmerztherapeutischen und seelsorgerischen Möglichkeiten ausgeschöpft wären. Was ich im Übrigen nicht glaube. So, wie sich kaum eine Frau leichtfertig für eine Abtreibung entscheidet, so entscheidet sich auch kein Schwerkranker unüberlegt für den eigenen Tod.
Dennoch sind natürlich alle Gegenargumente ernst zu nehmen und müssen wohlbedacht werden. Geht es doch in dieser Debatte um eine ethische Grundsatzfrage: Was hat Vorrang – das Selbstbestimmungsrecht oder der Lebensschutz?
Ich hoffe sehr, dass es in Deutschland bald zu einer großen Diskussion zu diesem Thema kommen wird. Denn so, wie es ist, kann es nicht bleiben. Wir benötigen ein neues Sterbehilfegesetz, das so streng und präzise formuliert sein muss, dass es einen Missbrauch weitgehend ausschließt. Hundertprozentige Sicherheit wird es natürlich nicht geben. Jedes Gesetz, und sei es noch so klar formuliert, kann umgangen oder missbraucht werden. Dies ist jedoch kein Argument gegen ein Gesetz.
Ich würde es schon als großen Fortschritt bewerten, käme es in Deutschland zu Legalisierung des begleiteten Suizids. Durchgeführt jedoch nicht von einer Sterbehilfeorganisation, sondern von Ärzten. Entweder, je nach Wunsch des Patienten, in einer Klinik oder aber zu Hause. Ich sehe nichts Verwerfliches darin, dass der Arzt sowohl Geburts- als auch Sterbehelfer sein kann.
Eine besondere Provokation stellt für mich die Haltung der Kirchen dar. Vehement wehren sie sich gegen eine Liberalisierung der Sterbehilfe in Deutschland.
So
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