Intimer Betrug
letzter Minute kümmern muss.«
»Das meine ich nicht. Wie du sehr wohl weißt.«
Ein langes Schweigen dehnte sich zwischen ihnen aus, bevor Grace es aufgab, Unwissenheit vorzutäuschen. »Ja, ich bin froh.«
Sie zwang sich, wieder zu dem Mann zu sehen, der neben ihrem Vater stand. Der Baron. Der Mann, der Anne hatte besitzen wollen. Genauso wie ihre Schwester Mary, die älter war als Anne, und Sarah, die älter war als Mary.
Obwohl Fentington sich nach außen hin den Anschein gab, ein aufrechtes Mitglied der Gesellschaft und ein rechtschaffener Edelmann zu sein, wussten Grace und ihre Schwestern es besser. Der Mann war von Natur aus böse.
Grace hatte alle Anstrengungen unternommen, damit ihm keine ihrer Schwestern in die Hände fiel.
Caroline beugte sich zu ihr. »Man hätte uns fast im Chor aufatmen hören können, als Anne ihr Jawort gab. Ich musste mich an der Kante der Kirchenbank festklammern, um nicht aufzuspringen und vor Freude zu schreien.«
»Ich weiß. Ich auch.«
»Wie hast du das gemacht, Grace? Wie hast du Annie davor bewahrt, ihm in die Hände zu fallen?«
»So schwer war es gar nicht«, log Grace. »Ich habe ein langes Gespräch mit Vater geführt. Er hat schließlich Vernunft angenommen.«
»Warum nur glaube ich dir das nicht?«, fragte Caroline.
Grace entging die unüberhörbare Abneigung in Carolines Worten nicht. Wenn ihre anderen Schwestern von ihrem Vater sprachen, war es dasselbe.
»Was musstest du ihm versprechen, damit dieser Wüstling sie nicht bekommt?«, fragte Caroline.
Grace sah sich um, um sich zu vergewissern, dass niemand mithören konnte. »Sagen wir einfach, dass Vater es finanziell vorteilhafter fand, dass Annie Wexley heiratet und nicht Baron Fentington, obwohl er nicht von Adel ist.«
Caroline lachte humorlos. »Ich bin nicht überrascht, dass das Gewicht der Münzen, die für Annes Hand geboten wurden, den Ausschlag gegeben hat, wem Vater seine Tochter gibt. Gott bewahre, dass er das Wohlergehen und das Glück seiner Kinder über seine Habgier stellen sollte, wenn er Entscheidungen trifft, die ihre Zukunft betreffen.«
»Du bist ungerecht, Caroline.«
»Wie kannst du das sagen, Grace? Nach allem, was er dir angetan hat.«
»Er hat nichts getan, was ich nicht selbst gewollt hätte. Es war meine Entscheidung, mich um euch sechs zu kümmern. Und ich habe es keine Minute bereut.«
»Nur, weil du es Mama versprochen hast.«
»Hör auf, so zu reden, als wäre ich eine Märtyrerin, die ihr Leben für euch geopfert hat.«
»Aber das hast du.«
»Ich habe nichts dergleichen getan. Ich war dankbar, eine Aufgabe zu haben, nachdem ich zwei schreckliche Saisons durchgestanden hatte, ohne einen einzigen Heiratsantrag zu bekommen. Für meine Schwestern zu sorgen war viel befriedigender als die Demütigung, das ewige Mauerblümchen zu sein, dem niemand einen zweiten Blick schenkt.«
»Es lag nicht an dir, Grace. Vater hat dafür gesorgt, dass niemand um deine Hand angehalten hat. Da bin ich mir sicher. Obwohl ich nicht weiß, was aus uns geworden wäre, wenn du geheiratet und uns verlassen hättest. Du hast jedeeinzelne von uns vor den desaströsen Ehen gerettet, die Vater für uns im Sinn hatte.«
»Ich habe ihm nur zu der Einsicht verholfen, dass es auch in seinem Interesse lag, seinen Töchtern zu erlauben, ihrem Herzen zu folgen.«
»Nein, hast du nicht. Du hast Thomas’ Eltern davon überzeugt, Vater für meine Hand den Streifen Land östlich von unserem Anwesen abzutreten. Und du hast dafür gesorgt, dass das preisgekrönte Rennpferd, das Josies Schwiegervater gehörte, für sie den Besitzer wechselte. Und du hast mit dem Earl of Morningway um das Geld gefeilscht, das Francine an ihrem Hochzeitstag zugestanden hätte, und es Vater gegeben. Und du …«
»Genug, Linny.«
»Mach dir nichts vor, Grace. Vater hätte uns alle in die Sklaverei verkauft, wenn der Preis gestimmt hätte. Doch diesmal dachte ich wirklich, wir würden Annie an den Baron verlieren. Ich weiß nicht, ob ich es ertragen hätte, wenn Vater sie zu einer Heirat mit ihm gezwungen hätte.«
»Du hättest dir keine Sorgen machen müssen«, sagte Grace, obwohl sie sich selbst immer wieder versichern musste, dass der Baron Annie tatsächlich nichts mehr anhaben konnte. »Das hätte ich niemals zugelassen. Niemals.«
»Ach, Grace. Ich weiß nicht, wie Mama es überhaupt so lange mit Vater ausgehalten hat. Sieben Kinder in weniger als zehn Jahren. Und alles nur, weil er sich so verzweifelt einen
Weitere Kostenlose Bücher