Intimer Betrug
einem Erben auch nur ein Leben wert? War ein Kind das Risiko wert, das Männer ihren Frauen aufzwangen? Oder das Risiko, das Frauen glaubten, eingehen zu müssen?
Schließlich wurde sie doch noch von dem Kind – einem Sohn – entbunden, einem Baby von perfekter Gestalt mit rundlichen Armen und Beinen und dichtem schwarzen Haar genau wie Vincents eigenes. Es war ein wunderschöner Junge, auf dessen Gesicht friedliche Glückseligkeit lag, während er bis in alle Ewigkeit schlummerte.
Noch lange nachdem seine Frau erkaltet war, hielt Vincent ihre Hand. Lange nachdem alles Leben aus ihr gewichen war. Tränen strömten ihm übers Gesicht. Er ließ sie ohne jede Scham fließen. Sie hatte alles geopfert, um ihm einen Erben zu schenken.
Mit der Hand seiner toten Frau in der seinen schwor er sich, niemals zuzulassen, dass eine weitere Frau ein solches Risiko einginge.
Kapitel 1
Januar
1858
London
,
England
L ady Grace Warren trat ein paar Schritte von der Gratulantenschar zurück und sah zu, wie ihre jüngste Schwester Anne und ihr frischgebackener Ehemann ihre Gäste begrüßten. Nach dem Hochzeitsempfang würde der Bräutigam mit der Braut das Stadthaus ihres Vaters verlassen und sie zu ihrem neuen Zuhause bringen, um ihr wundervolles gemeinsames Leben zu beginnen.
Grace seufzte tief. Vor Erleichterung wurde ihr fast schwindelig.
Anne war in Sicherheit.
Graces Kehle war wie zugeschnürt und sie konnte nur mit Mühe schlucken. Der Albtraum, mit dem sie lange Jahre hatte leben müssen, war endlich vorüber. Auch die letzte ihrer sechs Schwestern hatte nun einen Ehemann, der sie beschützte. Sie waren allesamt in Sicherheit. Endlich konnte er ihnen nichts mehr anhaben.
Ihre Euphorie war unbeschreiblich. Sie hatte solche Angst gehabt, dass sie scheitern und er doch noch eine von ihnen erwischen würde.
Sie beobachtete Anne und ihren Bräutigam, bemerkte, welch liebevolle Blicke sie wechselten, wie scheu sie sich berührten und wie sehnsüchtig sie einander ansahen. Ihr Herz zog sich sehnsuchtsvoll zusammen. Dabei hatte sie geglaubt, solche Gefühle schon lange hinter sich gelassen zu haben. Siewürde sich nicht gestatten, all den Kummer und die Enttäuschung wieder aufleben zu lassen, all die vergeudeten Jahre, die sie geopfert hatte, um ihre Schwestern zu retten. Heute war ein glücklicher Tag. Mit Annes Heirat hatte sie das Versprechen, das sie ihrer Mutter am Sterbebett gegeben hatte, eingelöst: dafür zu sorgen, dass jede ihrer Schwestern einen Mann fand, der sie liebte. Einen Mann, der sich um sie kümmerte.
Sie hatte ihr Versprechen erfüllt, aber sie hatte einen Preis dafür gezahlt – einen sehr hohen Preis.
Sie hatte alles in ihrer Macht Stehende getan, um sie vor
ihm
zu beschützen.
Sogar ihre Seele verkauft.
Grace unterdrückte das Gefühl des Entsetzens, das in ihr aufsteigen wollte, und sah zu, wie sich ihre Schwestern eine nach der anderen auf Anne stürzten, um sie zu umarmen und zu beglückwünschen. Nur Caroline, die Marchioness of Wedgewood, fehlte in der Schar.
Das überraschte sie nicht. Caroline war wieder schwanger und hatte sich bestimmt einen Platz zum Ausruhen gesucht.
Grace lächelte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis ihre Schwestern samt Anhang nur noch mit Mühe in ein Haus passten. Das würde ihren Vater garantiert zu einem weiteren Tobsuchtsanfall verleiten.
Sie blickte zu ihrem Vater, der sich mit einer Gruppe Freunden und Nachbarn unterhielt. Als sie den Mann sah, der neben ihm stand, verkrampfte sich ihr Magen. Allein schon sein Anblick verursachte ihr eine Gänsehaut.
»Was macht
der
denn hier?«, fragte Caroline neben ihr.
Grace zuckte erschrocken zusammen. Sie hatte Caroline nicht kommen hören, wandte sich ihr aber mit einem Lächeln zu. »Vater hat ihn eingeladen. Immerhin ist er unser Nachbar.«
»Er ist Satan in der Maske eines Gottgesandten.«
Grace unterdrückte einen Schauder und zwang sich, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf Baron Fentington. Erwar genauso abstoßend und widerwärtig wie die Bedrohung, die von ihm ausging. Grace löste den Blick von Fentington und schaute lieber zu Anne und ihrem frisch angetrauten Ehemann. »Sie geben ein reizendes Paar ab, nicht wahr?«
»Ja.« Caroline legte eine Hand auf Graces Schulter und drückte sie sanft. »War das ein Seufzer der Erleichterung, Grace?«
Grace bemühte sich, gelassen zu wirken. »Ja, ich bin froh, dass es vorbei ist. Es gibt immer noch etliche Details, um die man sich in
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