Intimitaet und Verlangen
veränderte nicht nur die Beziehung zu ihr, sondern stellte auÃerdem Sues Realitätsvorstellung in Frage. Und wenn der eine Partner anfängt, ein stabiles und flexibles Selbst zu entwickeln, verliert der andere Möglichkeiten, die ihm vorher offenstanden. Beide haben genau vier Alternativen: den Partner zu dominieren, sich dem Partner zu unterwerfen, sich vom Partner (durch Trennung oder Scheidung) zurückzuziehen oder sich zu entwickeln.
Wenn Ihnen klar wird, dass es in Ihrer Situation keinen Ausweg gibt, befinden Sie sich in der von mir so genannten Feuerprobe. Die einzige Lösungsmöglichkeit besteht in solchen Fällen darin, durch die Situation hindurch zugehen. Manche Probleme sind nicht dazu gedacht, gelöst und dann vergessen zu werden. Lösungen zu einigen Problemen finden wir erst, nachdem wir sie durchlitten haben, weil die Lösung in diesen Fällen unsere Entwicklung ist. Insofern ist die Ehe (und das Ehebett) die Wiege der Entwicklung zum Erwachsenen.
»Wie konntest du!«
Kurz darauf kam es zwischen Joe und Sue zu einer Interaktion, die zu einer wichtigen Zuspitzung führte. Sue sagte, ihr sei nach Sex, doch nachdem beide damit begonnen hatten, entwickelte sich die Situation rasch zum Negativen. Sue rezitierte eine Litanei ihrer Unsicherheiten. Aber Joe gab diesmal nicht klein bei, um Sue zu beruhigen. Darüber war sie schockiert und versuchte, ihn zum Einlenken zu bewegen. Doch diesem Bemühen entzog er sich.
In den folgenden Tagen verfiel Sue in eine agitierte Depression. Sie irrte im Haus umher, sprach über Verlassenwerden und zog über Joe her. Sie verglich ihn mit ihrem Vater, und sie wusste, dass ihm dies nicht gefallen würde. Sue klagte, sowohl Joe als auch ihr Vater hätte sie verlassen.
Vielleicht wäre es nicht zu dieser entscheidenden Zuspitzung gekommen, wenn Sue an diesem Punkt von weiteren Angriffen abgesehen hätte. Doch Joe gelang es erstaunlich gut, bei sich zu bleiben. Er reagierte auf sie anders, als er es bisher getan hatte, und diese Art von Reaktion hätte sie gebraucht, um sich selbst beruhigen zu können. Deshalb entschloss sie sich, einen letzten Schuss auf Joe abzufeuern und ihn damit möglichst zu »erledigen«. Sie sagte: »Ich gebe diese Ehe auf. Ich lasse mich scheiden!«
Sue hatte so etwas noch nie gesagt. Es war eine Verzweiflungstat, durch die sie Joe einschüchtern und zum Einlenken bringen wollte, so dass er sie schlieÃlich wie gewohnt beschwichtigen würde. Doch weder sie noch Joe hatte vorausgesehen, dass sie damit eine Grenze überschritten hatte, über deren Existenz Joe sich gar nicht im Klaren gewesen war. Joe wurde still.
Er wartete ein wenig, bevor er mit ernster Stimme sagte: »Sagâ so etwas nie mehr zu mir, wenn du nicht sowieso schon auf dem Weg aus dem Haus bist!«
Nun endlich hatten sie die »kritische Masse« erreicht.
Die kritische Masse: Der Punkt, an dem es zu einer fundamentalen Veränderung kommt
Was ist erforderlich, um Ihre Beziehung grundlegend zu verändern? Wie erreichen Sie dieses Ziel am besten? Wachstum findet in der Regel auÃerhalb der »Wohlfühlzone« statt: Ein emotionales Patt muss eine hohe Intensität erreichen, bevor ein Mensch etwas Produktives tut. Dieser Punkt wird kritische Masse genannt.
Die kritische Masse ist das Maà an Angst und Druck, das erforderlich ist, um grundlegende Veränderungen herbeizuführen. Die kritische Masse macht sich als »unbehagliche Ruhe« bemerkbar, nicht als emotionales Aufbrausen. Explosive Kontroversen enden an diesem Punkt. Drohungen, Gebrüll oder Geschrei und Ultimaten gibt es nicht mehr.
Zunächst ist es schwer, dies zu verstehen, weil viele Menschen annehmen, das Erreichen der kritischen Masse sei mit dem schlimmsten Streit verbunden, den sie jemals erlebt hätten. Die kritische Masse beinhaltet aber nicht den schlimmsten, sondern den wichtigsten Streit, den Sie jemals hatten. Sie bedeutet nicht, dass Partner einander durch brutale »Wahrhaftigkeit« und das damit einhergehende BlutvergieÃen fertigmachen. Sie beinhaltet auch nicht, dass Sie und Ihr Partner einander so schwer verletzen, dass Sie danach beschlieÃen, einander zu küssen, Ihre Wunden zu pflegen und sich nie wieder zu einem solchen Verhalten hinreiÃen zu lassen.
Gebrüll, Anschuldigungen und Drohungen enden, wenn Sie die kritische Masse erreichen, weil Sie dann merken, dass Sie an der
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