Intimitaet und Verlangen
für das »Borgen« andernfalls keine Basis besteht. Funktionsübertragung und emotionale Verschmelzung sind starke Formen von Bezogenheit und wohl die am weitesten verbreiteten. Doch auch wenn dies der Normalzustand ist, müssen wir darüber hinauswachsen.
Robert fühlte sich besser, wenn Sally sich demütig gab und sich entschuldigte, auch wenn sie gar nichts Falsches getan hatte. Er war auch weniger angriffslustig und streng, wenn sein Sohn sich seiner Autorität beugte. Wenn alles so lief, wie er es sich wünschte, hatte er das Gefühl, sein Leben sei, wie es sein sollte. Er verstand nicht, warum Sally so unglücklich wirkte. Sie hatten doch ein gutes Leben. Er nahm an, irgendein Ereignis aus Sallys Vergangenheit müsse der Grund für ihre »Launen« sein. Doch sie befanden sich in einem für Liebesbeziehungen typischen, Jahrmillionen alten Dilemma, das letztendlich auf die Herausbildung eines Selbst zurückzuführen ist.
Verlassen Sie sich darauf, dass Ihr Partner Sie bestätigt und bestärkt?
Identitätsempfinden, Selbstwertgefühl und Sicherheit normaler Menschen unterliegen stets dem Einfluss anderer Menschen. Das ist deshalb so, weil die meisten von uns in ihrer persönlichen Entwicklung nicht über das erste, gespiegelte Selbstempfinden hinausgekommen sind. Viele Menschen entwickeln nie ein besonders stabiles Selbstempfinden und bleiben ihr Leben lang von der psychischen Kraft abhängig, die andere auf sie übertragen â bzw. die sie von diesen ausborgen.
Die meisten Menschen beziehen es auf sich persönlich, dass ihr Partner ein starkes oder schwaches Verlangen hat. Bei sehr sensiblen Themen wie Sex machen wir uns besonders häufig von einem gespiegelten positiven Selbstempfinden abhängig. Wir fühlen uns attraktiv, wenn andere uns für attraktiv halten. Wir fühlen uns begehrenswert und begehren selbst, weil ein anderer Mensch uns begehrt. Wenn Sie in den Genuss des positiven gespiegelten Selbstempfindens kommen, das Sie brauchen, ist Ihnen dies nicht bewusst. Aus Ihrer Sicht ist ja auch alles in bester Ordnung. Sie sind verliebt. Wenn Menschen darüber reden, dass sie sich die Romantik zurückwünschen, die ihr Leben einmal bestimmt hat, wünschen sie sich in Wahrheit die Euphorie zurück, die sie aufgrund »ausgeborgter psychischer Kraft« erlebt haben. 3
Doch der Preis dafür, dass Sie sich selbst schätzen, weil andere Sie akzeptieren â oder Sie sexuell begehren â ist, dass Sie sich schlecht fühlen, wenn diese anderen Sie einmal nicht so positiv sehen.
Die Entwicklung eines stabilen und gleichzeitig flexiblen Selbst
Ist es nicht völlig normal, dass Menschen es persönlich nehmen, wenn ihr Partner sexuell nichts von ihnen wissen will? Und umgekehrt: Würden Sie sich etwa nicht schlecht fühlen, wenn Sie kein sexuelles Verlangen nach Ihrem Partner spürten und dieser Ihnen daraufhin sagen würde, sie seien völlig verkorkst? Natürlich! Genau darum geht es: Die meisten Menschen machen sich von einem Selbstempfinden abhängig, das von den Spiegelungen anderer bestimmt ist.
Dies ist keineswegs eine Folge von Kindheitstraumata, etwa so wie wenn man als Kind und Jugendlicher nicht genug gelobt oder nicht bedingungslos akzeptiert worden ist. Falls Sie in Ihrer Kindheit ständig kritisiert und zurückgewiesen worden sind, ist Ihr gespiegeltes Selbstempfinden mit Sicherheit besonders negativ . Vernachlässigung durch die eigenen Eltern erzeugt bei Menschen das Gefühl, unwichtig und wertlos zu sein. Aber selbst unerschöpfliche positive Verstärkung würde das Grundproblem nicht lösen, weil Sie dann weiterhin davon abhängig wären, dass andere Ihnen das Gefühl vermittelten, Sie seien »okay«. Auch wenn Sie der ganze Stolz Ihrer Eltern waren, können Sie sich nach der permanenten Aufmerksamkeit, Unterstützung und Rückversicherung Ihres Partners sehnen. Kein Lob kann so stark sein, dass es Ihnen ein stabiles Selbstwertgefühl zu garantieren vermag.
Ein stabiles Selbstempfinden entsteht durch Selbstkonfrontation, dadurch, dass Sie von sich selbst fordern, das Richtige zu tun, und indem Sie sich selbst zu respektieren lernen. Ein verlässliches Selbstwertgefühl entsteht aus Ihnen selbst heraus, nicht indem Sie das, was in Ihrer Umgebung ist, verinnerlichen.
Ein wirklich stabiles Selbstempfinden zu entwickeln (d.h., den Zustand des
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