Intimitaet und Verlangen
Erwachsenseins zu erreichen) erfordert wesentlich mehr Zeit und Mühe, als die meisten Menschen glauben. Wenn wir heiraten, sind wir hinsichtlich unseres Selbstempfindens gewöhnlich noch stark von positiven Spiegelungen anderer abhängig. Wir bringen unser gespiegeltes Selbstempfinden mit in die Ehe, weil es uns in die Ehe hineingeführt hat. Unterdessen machen die neuronalen Schaltkreise der Wollust, der romantischen Liebe und der Bindung in unserem Gehirn Ãberstunden. Was dann geschieht, ist absehbar: Wir werden zu einem »Paar«. Die Ehe ist ein Ãkosystem, das uns helfen soll, erwachsen zu werden, indem wir unser gespiegeltes Selbstempfinden so verletzlich machen, dass wir uns schlieÃlich nicht mehr damit begnügen können.
Wie ergeht es dem Partner mit dem schwächeren Verlangen?
Wie die meisten Menschen glaubte Sally, sexuelles Verlangen sei eine natürliche Funktion. Dadurch schrieb sie sich selbst eine sehr schwache Position zu. Und weil Robert die Dinge genauso sah, war Sallys Status in der ehelichen Beziehung der beiden sehr fragil. Roberts Verlangen wurde zum MaÃstab, an dem Sally und ihre »Normalität« gemessen wurde. Weil Sally selbst Roberts Unzufriedenheit zum MaÃstab ihrer Eigenbeurteilung machte, übernahm sie hinsichtlich des Sexuallebens in der Partnerschaft bereitwillig die schwächere und schlechtere Position.
In unserer ersten gemeinsamen Sitzung klagte sie, Robert setze ihr häufig zu, indem er ihr vorwerfe, sie habe ein Problem mit dem Sex. Ich erklärte es ihr so:
»Es kommt oft vor, dass der Partner mit dem stärkeren Verlangen sein eigenes labiles Selbstempfinden zu retten versucht, indem er sagt: ⺠Du hast das Problem, nicht ich.â¹ Je abhängiger Sie sich von einem gespiegelten Selbstempfinden machen, umso schlechter ertragen Sie es, als nicht vollkommen angesehen zu werden. Sobald Ihre Mängel zutage treten, zerbricht Ihr Bild von sich selbst, und Sie erleiden einen emotionalen Zusammenbruch. Falls Sie von einem gespiegelten Selbstempfinden abhängig sind, fühlen Sie sich besser, wenn Sie den anderen beschuldigen können. Deshalb sagen viele verlangensschwächere Partner: âºNicht ich bin das Problem, sondern du !â¹Â«
Sally klagte: »Ich fühle mich so schlecht, wenn er so etwas zu mir sagt. Ich bin dann den ganzen Tag deprimiert. Die betreffende Szene läuft in meinem Kopf immer wieder ab. Ich sehe Mal um Mal vor mir, wie ich Robert enttäusche.«
»Das passiert, wenn Ihr [ich deute auf Robert] gespiegeltes Selbstempfinden einen schlechten Tag hat.« Sally und Robert lachten. Die Anspannung im Raum lieà nach.
»Es ist schwer, bei sich selbst zu bleiben, wenn man zwei Botschaften gleichzeitig empfängt, von denen die eine lautet: âºDu bist zu nichts gut, du bist unzulänglich und nicht in der Lage zu leisten, was du eigentlich leisten müsstestâ¹, und die andere lautet: âºDu bist diejenige, die über die Ressourcen verfügt, und nur du kannst meine körperlichen und emotionalen Bedürfnisse erfüllen. Du hast kein Recht, mir diese Befriedigung vorzuenthalten, denn ich brauche sie.â¹ Die emotionale Peitsche bewirkt, dass der verlangensschwächere Partner sich fragt, wer er wirklich ist.«
Meine Beschreibung aktivierte offenbar allmählich Roberts gespiegeltes Selbstempfinden. »Warum ergreift Sally denn dann beim Sex nie die Initiative?«
»Sie sind mit Sally zusammen in einem bestimmten Muster gefangen. Sie sind der Partner mit dem stärkeren Verlangen, und wie die meisten Partner, die diese Rolle übernommen haben, versuchen Sie, bei Sally das sexuelle Verlangen anzufachen. Sallys Verlangen ist schwächer, und wie die meisten Partner mit schwächerem Verlangen weià sie, dass Sie sie brauchen, um sich als Liebhaber bestätigt zu fühlen. Und damit Sie dieses Gefühl bekommen, soll sie Ihnen gegenüber sexuelles Verlangen zum Ausdruck bringen. Das Problem ist, dass ihr Verlangen noch schwächer wird und sie sich unter Druck gesetzt fühlt, wenn sie Sie als guten Liebhaber bestätigen soll. Sally ist klar, dass Sie es als Zurückweisung erleben, wenn sie keinen Sex will, und genau das erschwert es ihr, den Sex mit Ihnen zu genieÃen. Auf diese Weise wird der Partner mit dem schwächeren Verlangen noch zusätzlich belastet, und das gespiegelte Selbstempfinden des verlangensstärkeren Partners wird
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