Intimitaet und Verlangen
Sally nun nicht mehr bereit, sich weiter so zu verhalten. Der Grund war nicht nur, dass sie störrisch wurde, sondern es frustrierte sie auch, dass es ihr nie gelang, Robert für längere Zeit glücklich zu machen. Jahre des Erfolgs in dem Bemühen, Robert gefällig zu sein und sein gespiegeltes Selbstempfinden zu unterstützen, forderten schlieÃlich ihren Tribut.
Je nachdrücklicher Sally Roberts notleidendes gespiegeltes Selbstempfinden unterstützte, umso mehr erwartete er dies und umso lauter beklagte er sich, wenn er nicht bekam, was er sich wünschte. Je häufiger Sally sich auf Sex einlieà und vorspielte, dass sie Lust empfand, umso weniger Lust hatte sie tatsächlich, solche Scharaden mitzumachen. Ihr sexuelles Verlangen wurde immer schwächer. Roberts Erwartungen widersprachen ihrem Gefühl der Autonomie und erzeugten bei ihr verständlicherweise den Impuls, ihrem Partner klarzumachen, dass sie genug von alldem habe.
Das gespiegelte Selbstempfinden des Partners stärken
Mich überraschte nicht, dass Sally und Robert Probleme mit ihrem sexuellen Verlangen hatten. Sie waren in dieser Hinsicht an einen toten Punkt gekommen und empfanden nicht mehr viel Zuneigung füreinander. Im Bett scheiterten ihre Annäherungsversuche oft schon in der Anfangsphase.
Ihr erster Besuch bei mir verlief ganz ähnlich. Robert klagte, Sally wolle nur selten Sex und gehe nicht auf seine Bedürfnisse ein. Dadurch geriet Sally in die Defensive, und sie führte eine lange Liste von Dingen an, die sie für ihn tat, wozu sie auch den gemeinsamen Sex rechnete. Sie bestätigte, dass sie oft kein Verlangen verspüre, sich aber seit Jahren bemühe, sich trotzdem entgegenkommend zu verhalten.
Robert antwortete daraufhin, genau das sei das Problem: Sally verhalte sich ständig, als würde sie ihm einen Gefallen tun. Sie selbst wolle offenbar nie Sex. Da sie nie wie normale Menschen an Sex interessiert zu sein scheine, glaube er, dass sie ein Problem habe. Einerseits kritisierte er, dass sie seit Jahren nur so tue, als ob Sex ihr Freude mache, und andererseits monierte er, dass sie nicht bereit sei, dies auch weiterhin zu tun. Er merkte offenbar gar nicht, wie sehr er Sally emotional traumatisierte.
Zu Hause verhielt Robert sich ganz ähnlich: Er versuchte mehrmals wöchentlich, Sally zum Sex zu animieren, und wenn sie dann nicht gleich begeistert reagierte, wurde er wütend. AnschlieÃend schmollte er einige Tage und unterbrach sein nachdrückliches Schweigen nur gelegentlich, um knappe und reservierte Antworten zu geben. Robert wollte Sally spüren lassen, dass er unglücklich war. Nahm Sally seinen offensichtlichen Unmut nach seiner Auffassung nicht gebührend zur Kenntnis, begann er seine Litanei mit: »Nicht ich, sondern du hast ein Problem!«
Jahrelang hatte Sally sich daraufhin bei Robert entschuldigt und erklärt, ihr tue leid, was geschehen sei. Und Robert hatte solche Entschuldigungen gewöhnlich angenommen, wenn dies mit Sex belohnt wurde. Danach war alles vergeben und vergessen â bis zum nächsten Mal. Doch wenn Robert besonders verletzt und wütend war, verlagerte sich die Auseinandersetzung auf eine zweite Ebene: Entschuldigte Sally sich dann, sagte Robert: »Das meinst du doch gar nicht so.« Daraufhin musste Sally ihn anbetteln, er möge ihr glauben, dass er ihr wichtigsei. AuÃerdem erwartete er beim obligatorischen anschlieÃenden Sex besonders enthusiastische Reaktionen. So stärkte Sally Roberts gespiegeltes Selbstempfinden â und sie spielten dieses Muster nicht nur im Sex durch.
Ebenso schloss sich Sally Roberts Auffassungen regelmäÃig an, wenn es um ihren gemeinsamen halbwüchsigen Sohn Jason ging. Robert bestrafte den Jungen häufig. Er forderte von ihm unbedingten Gehorsam und absolute Unterwürfigkeit, in noch stärkerem MaÃe als von Sally. Wenn Jason auch nur zögerte, seinen Anweisungen zu folgen, wurde Roberts gespiegeltes Selbstempfinden verletzt.
Sally wusste, dass das nicht in Ordnung war. Sprach sie Robert jedoch darauf an, reagierte er stets mit Vorwürfen wie dem, sie falle ihm in den Rücken und untergrabe seine Autorität. Er selbst hingegen verhielt sich Jason gegenüber insofern widersprüchlich, als er sich auch mit ihm gegen Sally verbündete. Deshalb schwieg Sally gewöhnlich. Bis vor kurzem hatte Sallys gespiegeltes Selbstempfinden die Oberhand
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