Intimitaet und Verlangen
Selbstwertgefühl, einfach indem sie darüber entschied, wann es Sex gab und wann nicht. Und Robert machte sein Selbstwertgefühl davon abhängig, ob Sally Sex mit ihm zulieÃ. Somit hing Roberts Gefühl, ein guter Liebhaber zu sein, völlig von Sallys Gutdünken ab.
Das war Sally intuitiv klar. Sie wusste, wie Robert dachte. Und Robert selbst schwächte seine sexuelle Attraktivität, indem er den Eindruck zu erwecken versuchte, er nehme Sallys Verhalten ihm gegenüber nicht persönlich. Sally wusste, dass es für Roberts Bild von sich selbst extrem wichtig war, ob sie enthusiastisch auf seine sexuellen Annäherungsversuche reagierte. Doch dadurch entstand bei ihr ein Druck, der ihr Verlangen noch mehr schwächte.
Im vorigen Kapitel wurde erläutert, wie das Selbstempfinden (bzw. das Selbstwertgefühl) mit dem sexuellen Verlangen verwoben ist, und vorher, dass der verlangensschwächere Partner immer die Kontrolle über den Sex hat. Aber was bedeutet dies, wenn man bedenkt, dass die meisten von uns sich von einem positiven gespiegelten Selbstempfinden abhängig machen, und zwar insbesondere im Hinblick auf Sex? Sally und Robert veranschaulichen, wie sich dies im Alltagsleben auswirkt: AuÃer dem Sex kontrolliert der Partner mit dem schwächeren Verlangen auch das Gefühl, begehrenswert zu sein.
Diese Tendenz manifestiert sich lange vor dem Sichtbarwerden irgendwelcher sexuellen Probleme: In Liebesbeziehungen ist das von Anfang an so. (Insbesondere Frauen lernen, das »sexuelle Selbstwertgefühl« ihres Partners unbedingt zu schützen.) Wenn dann Probleme hinsichtlich des sexuellen Verlangens oder sexuelle Dysfunktionen auftreten, entscheidet der verlangensschwächere Partner darüber, ob sich der verlangensstärkere sexuell begehrenswert fühlen kann, ob ersterem dies nun gefällt (bzw. ob er es weiÃ) oder nicht. Ergreift der verlangensstärkere Partner die Initiative, um sein erlahmendes Selbstwertgefühl zu heben, wirkt sich dies in der Regel negativ auf das ohnehin geschwächte Selbstempfinden des verlangensschwachen Partners aus. So kommt eine neue Runde des uralten Kreislaufs des sexuellen Verlangens und der menschlichen Entwicklung in Gang.
Alles beginnt schon am Anfang: Normal sein
Wie viele Paare hatten auch Robert und Sally seit Beginn ihrer Beziehung Probleme gehabt. Als sie das zweite Mal miteinander schliefen, fragte Robert Sally, ob sie Orgasmusprobleme habe. Sie antwortete, sie glaube das nicht. Sie brauchebei einem neuen Partner nur länger, um sich zu entspannen und sich auf ihn einzulassen. Robert erklärte daraufhin zwar, das sei für ihn kein Problem, doch Sally hatte das Gefühl, dass er nicht ehrlich war. Danach gab Sally sich mehr Mühe zu signalisieren, dass sie Lust empfand, auch wenn das gar nicht der Fall war, weil Robert dies zu brauchen schien. Offensichtlich war er glücklicher, wenn sie stöhnte. AuÃerdem tat Sally dies, weil sie ihrer selbst unsicher war und weil sie wollte, dass Robert sie liebte.
Was ich hier beschreibe, ist ziemlich normal. Es ist unabhängig vom Geschlecht, von der sexuellen Orientierung und von einer bestimmten Kultur. Ich habe auch mit anderen Paaren gearbeitet, bei denen die Rollen vertauscht waren. Und auch bei schwulen und lesbischen Paaren existiert dieses Problem. Wir alle wünschen uns, dass andere Menschen uns mögen, uns akzeptieren und uns bewundern. Doch ebenso wie viele andere Menschen machte auch Robert sich von Sally (und von anderen Menschen) abhängig , damit sie ihm helfen würde, sich in seiner eigenen Haut wohlzufühlen. 1 Weil sein Selbstwertgefühl nicht besonders stark war, stützte er sich auf sein gespiegeltes Selbstempfinden. Ohne dass ihm dies klar war, wollte er, dass Sally sich ihm gegenüber gefällig verhielt und sich zurücknahm. Wenn sie diesem Wunsch entsprach, fühlte er sich wichtig, geliebt, respektiert und geschätzt.
Zu Beginn ihrer Ehe hatte Sally sich so verhalten. Sie hatte sich dafür verantwortlich gefühlt, Robert glücklich zu machen. Wenn er unglücklich wirkte, hatte sie das Gefühl gehabt, sie habe als seine Frau versagt. Robert zufrieden zu machen wirkte stärkend auf Sallys eigenes gespiegeltes Selbstempfinden â zumindest eine Zeitlang. So reagierte sie immer, wenn wichtige Menschen in ihrem Leben sich nervös oder unglücklich zeigten.
Nach mittlerweile 20 Ehejahren war
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