Intimitaet und Verlangen
»offenen Beziehung« nie erreicht hätte. Wären er und Karen nur unverbindlich miteinander ausgegangen oder hätte Karen die Freiheit gehabt, mit anderen Männern sexuell zu verkehren, hätte sie sich einem anderen Partner zuwenden können, um der Diskrepanz hinsichtlich des sexuellen Verlangens, die zwischen ihr und Julian bestand, etwas entgegensetzen zu können. Doch wie die meisten Paare (und anders als die meisten Primaten) wollten die beiden weder auf die sexuelle Exklusivität der Monogamie noch auf die eheliche Treue verzichten. Dadurch entwickelten sich bei ihnen Monopoldynamiken, die Julians gespiegeltes Selbstempfinden dann ausbeutete.
Der Handel in monopolistischen Ãkonomien und unter den Bedingungen des freien Marktes folgt unterschiedlichen GesetzmäÃigkeiten; dies verdeutlichten Karens und Julians Interaktionen. In Systemen, die sich an den Gesetzen des freien Austauschs orientieren, so wie es bei der Kontaktanbahnung der Fall ist, behandeln die Beteiligten einander höflich und stellen sich möglichst vorteilhaft dar. Monopolisten hingegen neigen dazu, mit ihrer Macht zu prahlen, indem sie die Preise hochtreiben und so ihre Kunden beleidigen, weil sie ihnen im Grunde unakzeptable Bedingungen aufzwingen â frei nach dem Motto »Friss oder stirb!«. Dies kommt beispielsweise bei arrangierten Ehen in Verhandlungen über die Mitgift zum Ausdruck, wenn zwischen den beteiligten Familien groÃe ökonomische Unterschiede bestehen. Julian lieà Karen warten, bis ihm nach Sex zumute war, und sie hatte keine Möglichkeit, an diesem Umstand etwas zu ändern. Dieses Fehlen einer Möglichkeit, etwas zu ändern, war in ihrem Versprechen begründet, ihm treu zu sein.
In offenen Beziehungen verfolgt der verlangensstärkere Partner seine sexuellen Interessen im Zweifelsfall einfach anderswo. Doch da die menschliche Natur nun einmal so ist, wie sie ist, ist der verlangensschwächere Partner damit gewöhnlich nicht einverstanden, unter anderem, weil es sein gespiegeltes Selbstempfinden erschüttern würde. Er versucht eine solche Zerrüttung zu verhindern, indem er sich auf das Treuegelöbnis beruft. So kommt es, dass die Monogamie aufhört, förderlich zu wirken. Mit ihrer Hilfe versucht der verlangensschwächere Partner mit zwei Ãngsten gleichzeitig fertigzuwerden: Er zwingt den verlangensstärkeren Partner, Sex unter absolut vorrangiger Berücksichtigung seiner Unsicherheit und Unreife zu akzeptieren, und er hält seine Partnerin davon ab, sich andere Partner zu suchen.
Wie vielen verlangensschwächeren Partnern war dies auch Julian intuitiv klar, und er nutzte es aus. Er lieà sich auf Sex mit Karen ein, wann, wo und wie er es wollte. Alle entsprechenden Initiativen Karens und ihre Wünsche nach Abwechslung lehnte er ab, weil er darin Versuche sah, ihn ihrer Kontrolle zu unterwerfen.
Aufgrund der Existenz des Systems der Monogamie rief Julian auch andere Wirkungen hervor, die ihm selbst nicht gefielen. Ihm war nicht klar, dass er durch sein Bestreben, den Sex einzuschränken, seine Ãngste bei jeder sexuellen Begegnung verstärkte. Weil es nur selten überhaupt zum Sex kam, wurde der Leistungsdruck, der auf ihm lastete, noch stärker. Und dadurch wurde auch seine Angst davor verstärkt, dass Karen eine Affäre beginnen könnte. Er quälte sich, indem er sie sich beim Sex mit einem anderen Mann vorstellte und sich ausmalte, sie wollte andere Männer, und er machte sich Vorwürfe wegen seiner sexuellen Probleme. Dies verstärkte seine Angst davor, Karen könnte sich insgeheim wünschen, »frei« zu sein. Wie vorauszusehen, wurde Julians Interesse an Sex dadurch noch geringer â teilweise gerade deshalb, weil er sich in Sicherheit wiegen konnte, dass Karen ihn immer noch wollte.
Das Vorspiel: Verhandeln über Intimität, Erotik und Bedeutungen
Das Vorspiel ist eine Verhandlung über das Maà an Intimität und Erotik sowie über die Bedeutung des anschlieÃenden Sex. Bei wenig differenzierten Paaren werden im Laufe des Vorspiels die Gefühle der Partner verletzt, und ihr Verlangen verflüchtigt sich.
Julian nutzte sein Monopol bezüglich des Sex (bzw. dessen Verhinderung) durchgehend. Seine Präferenzen und Unzulänglichkeiten entschieden darüber, wer was gegenüber wem tat und welche Bedeutung dem zugeschrieben wurde.
Er wollte nicht, dass Karen
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