Intimitaet und Verlangen
der Lage gewesen war, nicht mehr auf sich selbst zu hören. Sie hatte ihre eigenen Gedanken ignoriert. Sie hatte ihren Geist einfach ausgeschaltet und war eingeschlafen. Sie war bereit gewesen, sich scheiden zu lassen, weil Julian ihr nicht zuhörte. Ihr Liebhaber würde ihr ein wenig Aufmerksamkeit schenken. Sie hatte sich aufgegeben, um jemanden zu finden, der sie bestätigte.
Die Selbstkonfrontation mit ihrer Affäre und ihren Aktivitäten im Internet half Karen, mit der Wiederherstellung ihrer Integrität zu beginnen. AuÃerdem beschloss sie, Julian nicht mehr wegen Sex zu bedrängen. Sie würde »Mitleids-Sex« nicht mehr akzeptieren. Karen hatte Angst, weil sie nicht wissen konnte, wie Julian mit der Situation fertigwerden würde. Doch sie handelte auf eine Weise, die Menschen zu den wunderbaren Geschöpfen gemacht hat, die sie sind: Angetrieben durch ihr Verlangen nach Integrität stellte sie sich ihren Ãngsten und zerstörte so Julians Sexmonopol. Sie weigerte sich, bezüglich Sex weiterhin nach seiner Pfeife zu tanzen, und sie würde sich auch nicht mehr mit miserablem Sex zufriedengeben. So brachte sie die beiden mächtigsten menschlichen Antriebe in Einklang: ihr Bedürfnis, ihre Ehe zu erhalten, und ihren Antrieb, sich selbst zu erhalten.
Karens Vorstoà gegen Julians Sexmonopol verängstigte diesen, obgleich sie sich vordergründig auf genau das einlieÃ, was er wollte (keine Affären mehr zu beginnen und keine Porno-Websites mehr zu besuchen). Ihre Selbstoffenbarung und Stellungnahme forderte ihr Mut ab, und das machte sie für ihn attraktiver â doch gleichzeitig ängstigte ihr Verhalten ihn. Da Karen es nun wert war, sie zu halten, wurde Julians Angst, sie zu verlieren, gröÃer. Denn ihr neues Verhalten machte sie auch für viele andere Männer attraktiv. Er glaubte, sie werde schnell einen anderen Mann finden, wenn sie sich von ihm scheiden lieÃe. Julian hätte nun einen Streit beginnen und eskalieren lassen können, doch da Karen klarer Position bezog, beschloss er, sich stattdessen mit sich selbst auseinanderzusetzen.
Wenn die Vier Aspekte der Balance stärker werden, verändert sich die Monogamie
Julian durchlebte in den folgenden Wochen seine eigene Feuerprobe. Karen setzte sich weiter mit ihrer Affäre auseinander, und ganz offensichtlich profitierte sie davon. Sie sah besser aus und wirkte ruhiger und gefestigter. Sie drängte Julian nicht mehr, an seinen Problemen zu arbeiten. Andererseits wusste er, dass sie genau verfolgte, was er tat. AuÃerdem hatte sie seine Ausrede entkräftet, sie selbst setze sich ja auch nicht mit ihrer Situation auseinander.
In unserer nächsten Sitzung sagte Julian zu Karen: »Ich weiÃ, du wartest darauf, dass ich mich mit meinem Anteil an unserem Schlamassel auseinandersetze. Ich habe mehr als eine Woche lang darüber nachgedacht. Hier ist das Ergebnis. ⦠Ich fühlte mich von dir betrogen. Mich verfolgen immer noch Bilder davon, wie du mit einem anderen vögelst. Vielleicht wird mein gespiegeltes Selbstempfinden darüber hinwegkommen. Aber was kann ich sonst von dir erwarten, wenn ich nicht mit dir vögele und wenn unser Sex bisher ziemlich mies war? Ich habe dir nicht viele Möglichkeiten gelassen. Und in einem gewissen Sinne war auch ich dir untreu. Mir bleibt nicht viel Grund, mich über deine Untreue zu beschweren.« Karen nickte beifällig, sagte aber nichts.
»Ich bin bereit, mit Dr. Schnarch an meinen schnellen Orgasmen und an der Stärkung meines sexuellen Verlangens zu arbeiten. Kannst du mir versprechen, dass du keine Affären mehr anfangen wirst?«
Karen dachte lange nach und schaute ihm dann direkt in die Augen. »Nein, das kann ich nicht, Julian.«
Selbstgesteuert statt kontrolliert
Julian verfiel offensichtlich in eine Defensivhaltung. Er sagte: »Was meinst du damit?«
Karen blieb ruhig und gefasst. »Ich werde keine Affären mehr anfangen. Aber ich werde dir nicht versprechen, dass ich das nicht mehr tue. Ich gehe nur mir selbst gegenüber eine Verpflichtung ein. Ich möchte mich nicht mehr so fühlen, wie ich mich gefühlt habe.« Karen hielt einen Augenblick inne. »Und ich möchte auch nicht, dass du mir versprichst, an deinen sexuellen Problemen zu arbeiten. Ich werde dir nicht mehr hinterherlaufen und dich zwingen, deine Verpflichtungen einzuhalten. Wenn du dich verpflichten
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