Into the Deep - Herzgeflüster (Deutsche Ausgabe): Roman (German Edition)
rutschen und streifte die Schuhe ab. Leise durchquerte ich das Zimmer und legte mich vorsichtig neben ihn, ohne ihn zu berühren. Dann starrte ich ebenfalls an die Decke.
»Du musst nichts sagen«, flüsterte ich. Und das tat er auch nicht. Ich wollte ihm nur zeigen, dass er nicht allein war. Dass ich da war, wenn er mich brauchte.
Ich hoffte, dass er irgendwann doch etwas sagen würde, aber in Jake Caplin hatte ich jemanden gefunden, der mir das Wasser reichen konnte, denn er hielt den Mund zweieinhalb Stunden lang geschlossen, spielte immer wieder dieselbe schrille Musik, bis mir fast das Blut aus den Ohren lief. Schließlich rief meine Mom an. Ich musste mich für diesen Tag geschlagen geben und nach Hause gehen.
»Ich muss los.« Vorsichtig beugte ich mich über ihn und drückte einen zarten Kuss auf seinen Mundwinkel. Er rührte sich nicht, zuckte nicht einmal. Ich unterdrückte ein Seufzen und stand auf. »Wenn du so weit bist, bin ich für dich da. Ich liebe dich, Jake.«
Zum ersten Mal erwiderte er es nicht.
Kapitel 17
Chicago, Dezember 2012
A m Flughafen herrschte ein Stimmengewirr, dass einem der Schädel brummte. Melissa bekam als Letzte ihren Koffer, aber endlich tauchte auch er auf dem Förderband auf, und die anderen atmeten ebenso auf wie ich. Wir waren von Edinburgh nach London und von da aus weiter nach Chicago geflogen. Einschließlich der Wartezeit auf dem Heathrow Airport hatten wir zwölf Stunden zusammen verbracht. Jake, Melissa, Beck, Lowe, Matt und ich waren platt, und dann nervte nichts mehr als ein Gepäckförderband.
Jetzt schoben wir uns durch den Flughafen zu der verabredeten Stelle, an der mein Dad auf mich wartete. Eigentlich sollte er Claudia und mich abholen, aber eine Woche bevor wir für die Weihnachtsferien nach Hause fliegen wollten, erhielt sie einen Anruf von ihrer Mutter Rafaela, die ihr mitteilte, dass sie dieses Jahr eine Riesenweihnachtsparty geben würde und dass Claudia bei den Vorbereitungen nicht im Weg stehen sollte. Es kam Rafaela Jenkins nicht in den Sinn, dass ihre Tochter gar nicht vorhatte, das Weihnachtsfest zu Hause zu verbringen. Als sie es erfuhr, wurde sie sauer und laberte rasend schnell auf Portugiesisch los (was Claudia nicht verstand, da ihre Mutter sich nie die Mühe gemacht hatte, es ihr beizubringen).
Am Ende verlangte sie – auf Englisch –, dass Claudia über Weihnachten nach Hause kam.
Claudia war wütend, weil sie die Weihnachtsferien nicht bei uns verbringen konnte, und ich war ebenfalls enttäuscht. Wir beide waren es gewohnt, immer zusammen zu sein. Wenn Claudia nicht da war, kam es mir so ähnlich vor, als würde mir ein Arm fehlen. Aber tief in ihrem Inneren freute sich meine beste Freundin bestimmt darüber, dass ihre Mutter so energisch darauf bestand, dass sie nach Hause kam. Es bedeutete nämlich, dass sie tatsächlich Notiz von ihr nahm.
Obwohl ich Claudia während der kommenden dreieinhalb Wochen vermissen würde, freute ich mich gleichzeitig auf ein bisschen Abstand zur Jake-und-Melissa-Show. Wegen der beiden herrschte in meinem Kopf ein einziges Chaos, und meine Familie würde das sofort merken. Das fuchste mich, da ich nicht wollte, dass irgendetwas unser Wiedersehen beeinträchtigte.
In Jacken und Schals gepackt, spazierten wir sechs in Richtung Ausgang. Für Dezember war es in Chicago ziemlich mild. Bisher hatte es nicht geschneit, und es war wärmer als in Schottland. Die Jungs redeten davon, am Tag vor Weihnachten mit der Band einen Gig zu veranstalten, aber ich war zu sehr damit beschäftigt, nach meinem Dad Ausschau zu halten. Deshalb bekam ich nicht alles mit, was sie besprachen.
Und dann entdeckte ich Dad.
Gegen die Motorhaube seines SUV gelehnt, betrachtete er die Massen. Mein Dad war Mitte vierzig, und wie meine Mutter oft mit verträumter Stimme anmerkte, gehörte er zu den Männern, die mit zunehmendem Alter nur noch attraktiver werden. Die Schläfen seiner dunkelbraunen Haare – das ich so gern geerbt hätte – waren grau meliert. Andie hatte seine Haare und seine Augen. Ich hatte seine Augen, aber Moms Haare. Ich verstand nicht, warum der Gott der Gene nicht aufs Ganze gegangen war und mir auch noch die blassblauen Augen meiner Mutter gegönnt hatte.
Als ich Jim Redford auf mich warten sah, durchströmte mich ein Gefühl von Wärme. Er und meine Mom hatten nie ein College besucht, aber sie bekamen trotzdem alles hin und schlugen sich wacker in unserer kleinen Stadt. Ich war stolz auf meine Eltern. Ich
Weitere Kostenlose Bücher