Intrige (German Edition)
sich umdrehte und Gonse vor sich stehen sah, als er verzweifelt versuchte, einigermaßen nüchtern zu erscheinen, während er sich zu rechtfertigen bemühte, erst vor dem Kriegsminister und dann, was eine köstlich peinliche Unterredung gewesen sein muss, vor dem Präsidenten Casimir-Perier persönlich.
»Das ist ganz und gar nicht komisch, Herr Major!« Gonse hat meine Belustigung bemerkt. »Wir sind nicht gerüstet für einen Krieg gegen Deutschland! Wenn sie das als Vorwand für einen Angriff nehmen, dann möge Gott Frankreich beistehen!«
»Natürlich, Herr General!« Gonse gehört wie Mercier und Boisdeffre zu jener Generation junger Offiziere, die durch die verheerende Niederlage von 1 8 7 0 tiefe Wunden davongetragen hat und sich seitdem vor dem Schatten der Deutschen fürchtet. Drei zu zwei lautet ihr pessimistisches Mantra. Auf drei Deutsche kommen zwei Franzosen. Sie geben drei Francs für Rüstung aus gegenüber zwei, die wir uns leisten können. Ich verachte sie für ihren Defätismus. »Wie hat Berlin reagiert?«
»Im Außenministerium wird gerade über eine Sprachregelung dahingehend verhandelt, dass die Deutschen genauso wenig für die ihnen übermittelten Dokumente verantwortlich sind wie wir für die, die uns erreichen.«
»Die haben Nerven!«
»Warum? Die schützen nur ihren Agenten. Wir würden das Gleiche tun. Die ganze Sache steht auf Messers Schneide, schon den ganzen Tag, das kann ich Ihnen sagen.«
Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr wundere ich mich darüber. »Würden die wirklich die diplomatischen Beziehungen abbrechen und einen Krieg riskieren, nur um einen Spion zu schützen?«
»Natürlich ist es ihnen peinlich, dass sie aufgeflogen sind. Es ist eine Demütigung. Typisch, diese verdammte preußische Überreaktion …«
Seine Hand zittert. Er zündet sich an seiner alten Zigarette eine neue an und lässt die Kippe in die abgesägte Spitze einer Granate fallen, die ihm als Aschenbecher dient. Er zupft sich ein paar Tabakschnipsel von der Zunge, lehnt sich wieder auf der Chaiselongue zurück und schaut mich durch die Rauchwolke an. »Sie haben Ihren Kognak ja gar nicht angerührt.«
»Wenn es um Krieg geht, behalte ich lieber einen klaren Kopf.«
»Genau dann brauche ich einen!« Er trinkt aus, spielt mit dem Glas herum, lächelt mich an. An der Art, wie er zu der Karaffe schaut, merke ich, dass er unbedingt noch einen will, aber er möchte nicht als Säufer vor mir dastehen. Er räuspert sich, ehe er weiterspricht. »Sie haben den Minister beeindruckt, Picquart, mit Ihrer Art, wie Sie die ganze Affäre gehandhabt haben. Ebenso den Stabschef. Offenbar haben Sie in den vergangenen drei Monaten in Sachen Geheimdiensttätigkeit wertvolle Erfahrungen gewonnen. Wir beabsichtigen, Sie zur Beförderung vorzuschlagen. Wir denken daran, Ihnen das Kommando der Statistik-Abteilung anzubieten.«
Ich versuche, meine Bestürzung zu verbergen. Spionage ist Schmutzarbeit, und alles, was ich während des Dreyfus-Falles gesehen habe, hat mich in dieser Ansicht bestärkt. Dafür bin ich nicht zur Armee gegangen. »Aber die Abteilung hat mit Oberst Sandherr doch einen sehr fähigen Chef«, wende ich ein.
»Er ist sehr fähig. Aber Sandherr ist ein kranker Mann, und unter uns, er wird sich wahrscheinlich nicht mehr erholen. Außerdem hat er den Posten schon zehn Jahre, er braucht eine Pause. Verzeihen Sie, Picquart, aber angesichts der geheimen Informationen, mit denen Sie umgehen würden, muss ich Sie das fragen: Gibt es irgendetwas in Ihrer Vergangenheit oder Ihrem Privatleben, was Sie anfällig für Erpressung machen würde?«
Mit zunehmender Bestürzung wird mir klar, dass über mein Schicksal schon entschieden wurde, vielleicht gestern Nachmittag, als Gonse sich mit Mercier und Boisdeffre getroffen hat. »Nein«, sage ich. »Nicht dass ich wüsste.«
»Sie sind nicht verheiratet, soweit ich weiß.«
»Nein.«
»Gibt es irgendeinen Grund dafür?«
»Ich bin gern allein. Außerdem kann ich mir eine Frau nicht leisten.«
»Das ist alles?«
»Das ist alles.«
»Geldprobleme?«
»Kein Geld, keine Probleme«, sage ich achselzuckend.
»Gut.« Gonse sieht erleichtert aus. »Dann sind wir uns ja einig.«
Aber ich will mich mit meinem Schicksal noch nicht ab finden. »Ihnen ist sicherlich klar, dass es dem bestehen den Mitarbeiterstab nicht gefallen wird, wenn ein Außenseiter den Posten bekommt – was ist mit Oberst Sandherrs Stellvertreter?«
»Er geht in Pension.«
»Oder Major
Weitere Kostenlose Bücher