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Intruder 6

Intruder 6

Titel: Intruder 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Tische, aber er wurde nicht langsamer, sondern erreichte das Geländer, noch bevor Frank, der mit voller Kraft losgekrault war, bei der H.M.S. Britannia ankam. Er war nicht der Einzige. Mindestens ein halbes Dutzend Schauspieler in Piratenkostümen und Marineuniformen waren plötzlich wieder im Wasser aufge-taucht und näherten sich dem Schiff. Neben dem Boot erschienen plötzlich Kopf und Schultern eines Tauchers.
    Ohne irgendetwas davon wirklich zur Kenntnis zu nehmen, rannte Mike weiter, sprang ohne die geringste Mühe über das Geländer und warf sich mit vorgestreckten Armen ins Wasser.
    Er war kein besonders guter Schwimmer, und das Wasser war so kalt, dass es ihm den Atem verschlug, aber nichts davon spielte eine Rolle. Noch immer halb wahnsinnig vor Angst, kraulte er los, überwand die Entfernung zu dem nachgebauten Kriegsschiff in wenigen Augenblicken und kletterte mit einer Behändigkeit an den aus Kunststoff nachgebildeten Planken des Rumpfes empor, zu der er unter normalen Umständen gar nicht in der Lage gewesen wäre. Nur einen Augenblick nach Frank erreichte er das Deck, zog sich mit einer kraftvollen Bewegung hinauf und war mit einem einzigen Schritt am Ruder.
    Er würde jetzt aufwachen. Wahrscheinlich lag er noch immer auf dem Bett in seinem Hotelzimmer und durchlebte einen Albtraum, das war die einzige Erklärung. Alles andere war völlig unmöglich!
    Aber er erwachte keinesfalls. Der Albtraum konnte nicht enden, weil er keiner war. Stefan stand unmittelbar vor ihnen, in einer grotesken Haltung halb nach vorne gebeugt und mit ausgebreiteten Armen, die Handgelenke mit groben Stricken an das große Steuerrad gebunden. Seine Augen waren weit aufgerissen, voll namenlosen Entsetzens und unbeschreiblicher Qual, aber ohne Leben. Seine Lippen waren blau verfärbt, die Haut und das Fleisch an seinen Handgelenken fast bis auf den Knochen durchgescheuert. Hellrotes Blut sickerte aus den Wunden, die er sich in seinem verzweifelten Todeskampf selbst beigebracht hatte, und bildete rosa Schlieren im Wasser zu seinen Füßen.
    »Nein«, stammelte Mike. Er trat noch einen weiteren Schritt auf das Ruder zu und erstarrte dann, unfähig, sich zu rühren.
    Nacktes Entsetzen kroch wie eine Spinne mit zahllosen eisigen Beinen seinen Rücken hinauf, und plötzlich fiel es ihm schwer, zu atmen. Sein Herz begann zu klopfen. Nicht rasend schnell und in hämmerndem Rhythmus, wie er erwartet hätte, sondern langsam, schwer, wie gegen einen immer stärker werdenden, unsichtbaren Widerstand ankämpfend. Jeder einzelne Schlag tat weh, und es bereitete ihm immer mehr Mühe, zu atmen.
    Alles schien sich um ihn zu drehen. Sein Gesichtsfeld zog sich zu einem winzigen Kreis mit verschwommenen Rändern zusammen, in dem nur noch das Ruder und die daran gebunde-ne Gestalt Platz hatten: Stefan, der tot war (tot!), und den jemand mit ausgebreiteten Armen an das Ruder gebunden hatte, als wolle er die böse Verhöhnung eines Kruzifixes erschaffen. »Nein«, flüsterte Mike immer wieder. »Nein. Das
    ... das kann nicht sein!«
    »Verdammt, hör auf hier rumzustammeln, und hilf mir lieber!«, brüllte Frank. Er musste ebenso gut wie Mike wissen, dass es nichts mehr gab, womit sie Stefan helfen konnten, aber er zerrte trotzdem mit verzweifelter Kraft an den Stricken, mit denen die Handgelenke festgebunden waren. In Franks Augen loderte das blanke Entsetzen.
    Unter Aufbietung aller Willenskraft gelang es Mike, einen weiteren halben Schritt nach vorne zu machen, aber er schaffte es nicht, die Bewegung ganz zu Ende zu bringen. Sein Herz schlug immer härter. Die Schläge schmerzten jetzt bis in die Fingerspitzen. Er konnte nicht mehr atmen, und in seinen Ohren war ein immer lauter werdendes an- und abschwellendes Rauschen, das alle anderen Geräusche langsam übertönte. Wie durch einen dichter werdenden, erstickenden Nebel registrierte er, wie überall rings um sie herum Gestalten auf das Deck heraufkletterten, wie Stimmen auf ihn einredeten, jemand neben Frank trat und ihn vom Ruder und Stefans Leichnam wegzuzerren versuchte. Doch nichts davon vermochte den immer dichter werdenden Vorhang aus Nebel, Benommenheit und ganz banalem körperlichem Schmerz zu durchdringen, der Mike einhüllte. Schließlich vermochte er gar nicht mehr zu atmen. Eine unsichtbare Hand schnürte ihm die Kehle zu, und eine zweite, noch viel stärkere Hand presste sein Herz zu einem Ball aus reinem Schmerz zusammen, der in seiner Brust pulsierte wie eine winzige Sonne, die

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