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Intrusion

Intrusion

Titel: Intrusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Elliott
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legte den Kopf in den Nacken und starrte erneut mit gerunzelter Stirn zum Himmel.
    Ein schriller Laut zerriss die Stille. Er kannte seinen Ursprung – eine Silberpfeife –, obwohl es eine Ewigkeit her war, seit er ihn zuletzt gehört hatte.
    Er rannte zu dem purpurroten Truck in seiner Auffahrt. Trucks waren kurz nach dem Bau des Großen Netzes aufgetaucht, fast als hätte sie der Weltenmacher mit seinen Träumen in diese Welt geschleust, zusammen mit so vielen anderen bis dahin unbekannten technischen Neuerungen wie Kameras, Fernseher, Sitzrasenmäher und Radios (die gegenwärtig allerdings nur statisches Rauschen von sich gaben).
    Aus reiner Gewohnheit ließ Tom seine Blicke bis ans Ende der Auffahrt schweifen. Jenseits des Hofes lauerte manchmal der Mann, der ihn am liebsten tot gesehen hätte. Der Meuchelmörder. Keine Spur von ihm heute … und zum Glück auch keine Spur von den Anhängern des Tom-Kults. Letzte Woche war ihm ihre Schleimerei so auf die Nerven gegangen, dass er sie eimerweise mit stinkendem Putzwasser übergossen hatte, bis sie ihre Gesänge vor dem Zaun abgebrochen und ihn endlich in Ruhe gelassen hatten.
    Er ließ den Motor aufheulen, stieg in die Eisen und jagte durch den Torbogen aus polierten Drachenrippen. In dem Moment, da er das Grundstück hinter sich gelassen hatte, schrumpfte sein Körper. Das Alter packte ihn mit hartem Griff, mit Runzeln und Falten, Beschwerden und Schmerzen. Er war immer noch stark, jedoch bloß noch Herr über alles und nichts.
    Aber nun stand die Zeit still. Vögel hingen reglos am Himmel. Die Tropfen und Sprühnebel eines Wasserfalls, an dem er vorbeikam, waren in der Luft erstarrt. Tom hatte diesen Sturzbach selbst gemacht. Er hatte die Wälder mit Bäumen seiner Wahl ausgestattet. Er hatte die Berge mit Granit aufgefüllt, nachdem die Hände des Weltenmachers sie geformt und sich wieder zurückgezogen hatten. Er hatte sie mit Höhlen versehen und die selten benutzten Pfade ausgetreten, die sich zu den versteckten Almen hinaufwanden. Er hatte die Feinarbeit erledigt, die Dinge vollendet, die der Schöpfer Weltenmacher übersehen hatte. Und als seine Kräfte schließlich nachließen und ganz zu schwinden drohten, hatte er noch das Schloss Eisennetz errichtet … etwa zu dem Zeitpunkt, da der Weltenmacher seine Schöpfung zu vergessen begann.
    Tom raste mit einer Meile pro Herzschlag dahin. Der Truck jagte wie ein verwischter Purpurblitz über alte, unbefestigte Waldwege, schoss zwischen den Bäumen entlang, überquerte Bäche und kleine Schluchten.
    Endlich hielt er auf einer Straße mit hektischem Verkehrsgetümmel. Ein junger Mann lag da, um ein Haar zu Tode getrampelt. Neben dem jungen Mann stand jemand, den Tom sein Leben lang gekannt hatte, und sein Leben währte nun schon verdammt lange. Der Mann hatte keinen Namen, aber falls jemand hartnäckig auf einer näheren Bezeichnung bestand, schlug er meist vor, man solle ihn den »Mechaniker« nennen. Er hielt ein Buch in der Hand und wippte mit der Schuhspitze ungeduldig auf und ab.
    Aden war mitten in der Bewegung erstarrt. Sein Kopf hing nach unten, sein Körper hatte die Fünfundvierzig-Grad-Neigung eines wurfbereiten Speers – und das seit mehreren Minuten. Er war bei Bewusstsein. Seine Augen brannten, weil er nicht blinzeln konnte. Er war irgendwie nicht erstickt, obwohl er zu atmen aufgehört hatte. Ein unangenehmes Gefühl …
    Wäre der Stillstand nur eine Sekunde später gekommen, hätten ihn Pferdehufe zermalmt. Er hörte das Quietschen von Reifen, als Tom seinen Truck abbremste. Er hörte, wie die Fahrertür aufgerissen und zugeschlagen wurde. Aber es gelang ihm nicht, den Kopf zur Seite zu drehen und sich ein Bild von seiner Lage machen. Toms Stiefel stampften über Schotter und Kies.
    Seit die Zeit stehen geblieben war, vernahm er das ungeduldige Wippen einer Schuhspitze, das ihn halb wahnsinnig machte. Einmal war der Mann in sein Blickfeld geraten; Aden sah, dass er einen schlichten schwarzen Anzug trug und ein Buch in der Hand hielt. Das Zeug, das der Mann vor sich hin brabbelte, klang nach unverständlichen mathematischen Formeln.
    Aden hatte irgendwann den Waldrand und eine unbefestigte Straße erreicht, die auf der Gegenseite von ein paar heruntergekommenen Häusern gesäumt wurde. Zu seiner großen Verblüffung hatte sich die menschenleere Straße Sekunden nach seiner Ankunft in ein lärmendes Verkehrsgetümmel verwandelt, das sich in beide Richtungen erstreckte, so weit das Auge reichte:

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