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Intrusion

Intrusion

Titel: Intrusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Elliott
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vermochte, so alt wie diese Welt oder gar noch älter – aber auch wieder jung, als hätte die unablässige Brandung der Zeit alles ausgewaschen und abgeschliffen, was altern konnte. In seinen Augen leuchtete das Feuer von Edelsteinen, die sich in Jahrmillionen unter dem langsamen, ungeheuren Druck der Erdschichten oder durch die allmähliche Ansammlung von glitzernden Sedimenten gebildet hatten.
    Da er seit Langem keinen Wert mehr auf Äußerlichkeiten legte, begnügte er sich mit einer schlichten Jeansweste, die seine sonnengebräunte Haut und das Spiel der Muskeln unter der grau behaarten Brust betonte. Die Leute nannten ihn den »alten Drachenmann«, und manche verehrten ihn wie einen Gott. Er selbst nannte sich Tom und rümpfte die Nase über alle Beinamen, die sie ihm gaben.
    Aber die Aufmerksamkeit eines Fremden würde in diesem Moment nicht auf Tom fallen. (Tom war auf der rückwärtigen Veranda stehen geblieben und hatte einen Blick zum Himmel geworfen, weil ihn plötzlich das Gefühl überkam, dass ihn jemand beobachtete .) Weit bemerkenswerter war das gigantische Geschöpf mit dem roten Schuppenleib und den mächtigen Schwingen, das des Nachts seine Berghöhle verlassen und sich talwärts begeben hatte. Die »Großen Roten«, wie Tom sie nannte, waren die größten und wildesten Drachen, die in den Bergen jenseits seines Hinterhofs hausten. (Und wenngleich das kaum jemand wusste, gab es sie mittlerweile nur noch dort.)
    Der hier war jung und ein Kümmerling, hatte aber doch etwa die Länge von Toms Haus – ohne den Schwanz, der wie eine prähistorische Schlange aussah und sich ohne Weiteres um das ganze Gebäude wickeln ließ. Die kurzen Beine, die sich mit ihrer schweren Last plump und unsicher bewegten, hinterließen tiefe Dellen im Gras und richteten ein gewaltiges Unheil in Toms Gemüsegarten an. Winzige Goldflitter hingen an seinem Bauch, Kostbarkeiten, welche die Jungtiere aus dem Nest stahlen oder von ihren Eltern erbettelten. Die Erwachsenen gaben ihnen gerade so viel von ihren Schätzen, dass sich die Halbwüchsigen nicht zusammenrotteten und den gesamten Hort für sich forderten.
    Der Drache wandte sich Tom zu, der immer noch reglos auf der Hintertreppe stand und zum Himmel starrte, denn das Gefühl, beobachtet zu werden, war für ihn weit unheimlicher als der Anblick des Großen Roten.
    Der Drache, gar nicht erbaut darüber, dass seine Größe und Kraft nicht ausreichten, um die Aufmerksamkeit des Menschen zu fesseln, entblößte seine Fänge und brüllte so laut, dass die Fenster klirrten.
    Tom zog ein Paar schwarze Handschuhe an, um seine Finger gegen die scharfen Ränder der Schuppen zu schützen. Er lief die restlichen Stufen hinab in den Garten, entdeckte die Verwüstung und sagte: »Du kleiner Stinker!« Der Drache sah ihn näher kommen. »Was verschafft mir die Ehre, mein Freund? Hm? Ein Kampf mit den Größeren vielleicht? Oder ein Grüner hat dir Schwefeldampf in die Höhle gefurzt? Du brauchst eine neue Bleibe? Ich kann dich hier schlecht unterbringen, und ich denke nicht daran, die Unmengen an Futter ranzuschaffen, die du verschlingst! Ab, marsch, zurück in die Berge mit dir! Du vergibst dir nichts, wenn du dich bei deinen Alten entschuldigst. Was, das machst du nicht? Na, du weißt ja, was jetzt passiert.« Tom straffte die Schultern.
    Der Drache hatte bestimmt nicht die Absicht, ihn zu töten. Die Kerlchen wollten scherzen wie die jungen Hunde, aber kein normaler Mensch würde so einen spielerischen Prankenhieb oder Biss, geschweige denn eine Wolke ihres Pestatems überleben. Er musste ihn mit sanfter Gewalt vom Hof locken und hoffen, dass er freiwillig heimflog. Wenn nicht, blieb ihm keine andere Wahl, als ihn etwas härter anzufassen und dann selbst in die Berge zurückzureiten. (Andernfalls machte der Bursche nur Unfug und erschreckte die Dorfbewohner oder verbrannte sie gar zu Asche.)
    Er schickte sich an, ihm auf den Nacken zu springen, doch im gleichen Moment erlebte er die zweite Überraschung: Die Zeit stand plötzlich still.
    Ganz im Gegensatz zu Tom. Er krachte in die Flanke des plötzlich erstarrten Drachen und schnitt sich den Unterarm an den korallenscharfen Schuppen auf. Blut spritzte, aber es war kein rotes Blut, sondern flüssiges Licht.
    Tom plumpste zu Boden, fluchte über die Schnitte und riss einen Stoffstreifen von seiner Hose, um die Wunden zu verbinden. »Komischer Morgen«, murmelte er. Das Gefühl, dass ihn jemand beobachtete, war immer noch sehr real. Er

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