Intrusion
Häresie, sondern darüber hinaus ein ungutes Klasse-Sechs-Omen. Sollte es daher in Days Past zu irgendwelchen seltsamen Ereignissen kommen, so müssen sie wohl diesem jungen Mann zugeschrieben werden. Noch wissen wir nicht, welche Gefahr er für das Reich, das Schloss, die Kirche oder die ganze Welt darstellt. Ihr seid hiermit aufgefordert, entsprechende Beobachtungen unverzüglich dem Namenlosen der hiesigen Kirche oder mir, Torak, zu melden. Der junge Mann wird wie folgt beschrieben: Schlank, dunkelhaarig …«
»Ein Gedicht!«, rief Julius. Raydon stopfte den Erlass in seine Tasche. Julius warf die weiße Seiden-Toga raschelnd in Falten und reckte der versammelten Menge tief bewegt eine Faust entgegen. »Ein Gedicht über Skittles, meine Katze. Ray, sei so gut, und schreib es mit! Außerdem erwarte ich ein paar Notizen über die Reaktion der Zuhörer. Seid ihr bereit, Leute?« Julius räusperte sich eine halbe Minute, ehe er mit seinem Vortrag begann:
»Mit donnergrauem Pelz, wie einst das wärmende Gewand
der wilden Horden aus dem Norden,
wenn sie zu großen Schlachten auf sich machten.
So kämpfte sie in Hintergassen mit den Katern,
stets bereit, ihr Leben hinzugeben.
Aber immer nur für sich und nie für mich.
Doch irgendwann wird Skittles die Milch der Menschlichkeit
mit Funkelaugen aus ihrer Schüssel saugen,
wird schlecken und wird schmecken
wie gut es tut, zu nehmen und zu geben mit frohem Mut.«
Tödliche Stille folgte. Jemand hustete. Raydon vergrub das Gesicht in beiden Händen. Die Dorfbewohner schlurften davon. »Wie soll’n das gehen – mit den Augen saugen«, murmelte einer.
Slythe zog mühsam die Hände aus den Taschen und klatschte dreimal. Raydon folgte seinem Beispiel und hauchte: »Bravo, Julius … ich bin sprachlos.«
»Genau wie die da«, entgegnete Julius wütend und sah den Dörflern mit zusammengebissenen Zähnen nach. »Nun?«, fauchte er. »Nun?«
Die Zuhörer zerstreuten sich und kehrten an ihre Arbeit zurück. Julius wirbelte herum und umklammerte mit zitternder Hand das Geländer. Aus seinem Gesicht war jegliche Farbe gewichen. »Das ist gegen jede Zucht und Ordnung«, sagte er schwach. »Obwohl es mir überhaupt nichts ausmacht, Ray. Du meine Güte! Ray … mir kam da ein Gedanke. Ja doch, mir kam eben ein Gedanke.«
»Euer Gnaden?«, wisperte Raydon.
»Ich glaube … ich glaube, ich kriege einen Wutanfall.«
»Nein, Euer Gnaden, bitte …«
» NEIN! ICH GLAUBE ALLEN ERNSTES, DASS ICH EINEN WUTANFALL BEKOMME! UND ›NEIN, BITTE!‹ IST JA SCHÖN UND GUT, DANKE , RAYDON, ABER …« Die Wut schnürte ihm einen Moment lang die Kehle zu. » MANCHE HERZÖGE HERRSCHEN OHNE JEDE POESIE! MANCHE HERZÖGE PEITSCHEN IHRE UNTERTANEN AUS, SCHLAGEN SIE, QUÄLEN SIE, ERSTECHEN SIE, SCHNIPPEN NUR MIT DEN FINGERNÄGELN, WENN SIE ETWAS WOLLEN. MANCHE HERZÖGE HALTEN SICH TIGER, DENEN SIE WOCHENLANG KAUM ETWAS ZU FRESSEN GEBEN. UND WENN DIE TIGER RICHTIG AUSGEHUNGERT SIND, HOLEN SIE VIELLEICHT DORFBEWOHNER VON DAYS PAST, LEUTE, DIE SICH AUS IRGENDWELCHEN GRÜNDEN WEIGERN, IN FRENETISCHEN APPLAUS AUSZUBRECHEN! « Er verstummte keuchend, einem Kollaps nahe, und hielt sich krampfhaft am Geländer fest. » UND DIESE HERZÖGE …«
»Fahr heim, Julius«, sagte eine strenge Stimme hinter dem Wagen.
Julius wirbelte herum, empört. Adens Augen weiteten sich, als er sah, wer den Herzog unterbrochen hatte. Muse. Sie trug die gleichen Sachen wie nachts in den Wäldern, harte Lederstiefel und ein Kleid mit Kapuze über einer langen Hose. Das graue Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihre Gesichtszüge wirkten streng und irgendwie weder jung noch alt. Sie schleppte ein Bündel neuer Pinsel und eine große Rolle weißes Endlospapier. Ihre Blicke wanderten müde über den Wagen und seine Insassen.
»Aden«, sagte sie. »Du wirst, wie ich annehme, bald merken, dass du dich nicht in der allerbesten Gesellschaft befindest. Vielleicht solltest du diesen Freund besuchen, der in mein Haus eindrang und dich mitnahm, weil du ihm gefielst. Ich glaubte dich in deinem Rahmen völlig sicher. Nie hätte ich gedacht, dass dich jemand stehlen würde.«
Ihre Blicke schienen eine stumme Warnung zu übermitteln: Antworte mir! Tu so, als wären wir alte Freunde! »Geht in Ordnung«, sagte er. »Ich bin nur etwas … verwirrt. Ich weiß weder wo ich bin, noch wer ich bin.«
Muse nickte und hielt den Blickkontakt aufrecht. »Er wird noch einmal in mein Haus kommen, um ein paar Pinsel und
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