Intrusion
Er zuckte mit den Schultern, die sich ein wenig verkrampft anfühlten, und lud die Bruchstücke in seinen Schubkarren, um sie zum Markt zu fahren.
Die Dörfler hätten vielleicht auch sehen können, dass sich alle anderen ebenso steif bewegten wie sie selbst, in einer Art lebendigem Rigor mortis, als hätten sich ihre Beine in Stelzen verwandelt – aber nein. Sie gingen durch das zunehmend graue Dorf wie eh und je, ein wenig ruckartiger und langsamer als sonst, ohne auch nur einen Schritt von dem gewohnten Pfade abzuweichen.
Niemand außer ein paar Händlern von auswärts machte sich groß Gedanken über das Schild an der Hauptstraße, auf dem SOMERSET durch KONFUSION und EINWOHNER: 9344 durch EINWOHNER: TOT ersetzt war. Sie hatten allerdings eher am Ortsrand zu tun, wo der graue Schleier – den sie durchaus bemerkten – nicht so ausgeprägt war wie im Zentrum. Merkwürdiger erschien ihnen, dass die Einheimischen vergaßen, sich ihre Waren bezahlen zu lassen. Aber da die Händler sie nicht in Verlegenheit bringen wollten, verzichteten sie darauf, sie auf ihr Versehen hinzuweisen.
Und die Planen über den Erzeugnissen verbargen die spröden, glasartigen Splitter, in die sich die Waren ihrer Lieferanten verwandelt hatten …
Doch die sollten die Händler nie entdecken. Sobald sie nämlich in ihre eigenen Orte zurückkehrten und die Planen zurückschlugen, sahen sie die Produkte, die sie zu sehen erwartet hatten, denn diese wurden beim Kontakt mit Orten wiederhergestellt, die noch genug von dem weißen Licht besaßen, das der Welt in ihren letzten Tagen Leben verlieh.
Charm nahm als Erste die andere Form des Weltsterbens wahr.
Sie wanderte allein durch die Wälder, auf dem gleichen Pfad, den sie zusammen mit Aden gegangen war, als sie Muse verfolgten. Charm hatte die Kapuze hochgeschlagen, um die Kälte zu vertreiben, die mit dem Näherrücken des Winters etwas mehr Biss bekam. Ihre Schritte waren lautlos wie die eines wilden Tieres, das die Verborgenheit suchte. Der Lichtschein, der sie einhüllte, war gedämpft, gerade hell genug, dass er ihr den Weg weisen und ihren Schatten über die Baumstämme tanzen lassen konnte. Rindengesichter starrten sie an, grimmige alte Männer, die nun vor sich hin dösten und von bitteren Dingen träumten.
In der Tasche ihres Gewands befand sich eine Traube roter Beeren, die sie am Morgen von Cherrysträuchern gepflückt hatte. Sie schob eine in den Mund und ließ den weinsüßen Saft auf ihrer Zunge explodieren. Das schwache Gift versetzte sie in einen angenehmen Rausch. Ihre Schritte wurden länger. Im Halbdunkel zu ihrer Linken erhellte die Aura, die sie umhüllte, die Steilufer einer kleinen Schlucht. Sie fielen zu einem kleinen Rinnsal ab, dem letzten Ausläufer jenes Flusses, der von den Bergen herunter am Hof von Tom vorbeisprudelte. Sie hatte einmal versucht, den Drachenmann zu verführen, als sie ihm in den Wäldern begegnet war, doch er hatte sie nur ausgelacht. Die Erinnerung daran trieb ihr immer noch die Schamesröte ins Gesicht. Damals hatte sie nicht gewusst, dass es Tom war, der hin und wieder eine warme Mahlzeit für sie auf einem Baumstumpf nicht weit von hier abstellte.
Ihr Ziel war eine Lichtung auf der anderen Seite der Wälder, wo einer der ihr ergebenen Sklaven jede Woche einen Strohkorb mit Brot, Käse, Wein und Obst für sie hinterließ. Zum Dank besuchte sie ihn hin und wieder in seiner Hütte, blendete ihn eine Weile und flüsterte ihm Liebesworte ins Ohr, während seine Frau in der Kammer nebenan schlief. Sie ließ nie zu, dass ihre Sklaven sie berührten; für die meisten wirkte bereits ihre Nähe wie eine starke Droge. Anderen brannte ihr Glanz das Leben aus dem Leib, sodass sie als verdorrte Hüllen zurückblieben.
Sie war völlig allein unter den schlafenden Eichen und konnte deshalb die Aura heller als sonst strahlen lassen, um etwas von dem Druck abzubauen, der sich allmählich in ihr aufstaute. Wie ein Atemstoß schoss Licht in den schmalen Waldweg hinein; es funkelte, als wäre ein Stern zwischen die Bäume gefallen. Ihre Sandalen flüsterten über Tannennadeln und feuchtes Erdreich. Eine Meile blieb hinter ihr zurück, während ihre Gedanken mit Bitterkeit um einen Tag kreisten, den sie wiederum allein verbracht hatte. Fantasien stiegen in ihr auf, ungehindert von ihrem Gewissen, Fantasien von strahlenden Männern, denen sie befahl, ihre Gemahlinnen und dann sich selbst zu töten. Die Fantasien waren bis ins kleinste Detail ausgefeilt.
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