Intrusion
zurückzuführen.
Die ursprünglichen Pläne des Weltenmachers sahen vor, dass ein gewaltiger Krieg über Nightfall hinwegtobte, und das Dorf war dazu ausersehen, als Erstes von der Weltkarte zu verschwinden. Niemand außer den drei Göttern – Muse, Tom und dem Mechaniker – wusste davon, und niemand hatte den Bewohnern von Somerset erzählt, dass sie einzig und allein geboren waren, um in einem großen Blutbad unterzugehen. Außer einer gewissen Erwartung , die irgendwie in der Luft lag – und die nur Besucher, niemals aber die Einheimischen spürten –, gab es nicht den geringsten Hinweis, dass das Schicksal etwas Besonderes mit Somerset vorhatte. Seit seinem Entstehen war das Dorf unverändert, und seine Bewohner folgten stets den gleichen ausgetretenen Wegen wie all die Generationen vor ihnen. Ihr Leben war bequem vorherbestimmt, serviert wie eine fade Mahlzeit, die sie nie selbst zubereiten mussten.
Und doch kam ihnen ihr Dasein wirklich vor. Die kleinen Dramen im Dorf forderten ihre ganze Aufmerksamkeit: Die Karotten auf dem Wochenmarkt waren etwas mickriger als normal; Virons Hund hatte sich wieder mal losgerissen und streunte durch die Gegend; die Stute von Stu hatte die Geburt ihres Fohlens nicht überlebt. Solche Ereignisse gaben Anlass zu aufgeregtem Klatsch, obwohl sie sich – mit kleineren Abwandlungen – immer wieder abspielten.
Gelegentlich kamen die Personen, die Geschichte machten – die Hauptfiguren –, auf dem Weg zu Geschäften oder weniger langweiligen Orten durch Somerset. Dann verbrachten sie eine Nacht in der Herberge und besuchten das Wirtshaus, um einer Boxveranstaltung oder ein paar Hahnenkämpfen beizuwohnen. Die Einheimischen umwirbelten sie wie Blätter, die ein kurzer Windstoß aufgescheucht hatte, und fühlten sich einen Moment lang selbst wie Hauptfiguren, ehe sie zu ihren vertrauten Nebenrollen zurückkehrten. Am Morgen brachten die Farmer ihre Erzeugnisse wieder in die Stadt. Hausfrauen zogen an den Marktständen vorbei, tauschten Rezepte, die schon ihre Großmütter getauscht hatten, plus oder minus diese oder jene Zutat, und ihr Geschwätz erinnerte an Vogelgezwitscher. Die Männer trotteten wie gewohnt zu den Gold- oder Kohlebergwerken, in die Fabriken, zum Rathaus oder Gericht, und allen zusammen war nicht ein Funke mehr Ehrgeiz zu entlocken als normal. Die Landstreicher bettelten um Geld für Bier oder versuchten, es sich in dem kleinen Boxring hinter dem Wirtshaus zu erkämpfen, vor einem Publikum, das in der Regel nur aus dem Schankkellner bestand. Kinder verschwanden im Schulgebäude, wo sie die ewig gleichen Märchen und Theorien über ihr Universum zu hören bekamen plus oder minus ein paar Fußnoten: bedeutungslose Namen, Zahlen, Orte, die sie pflichtschuldig auswendig lernten, ohne zu wissen, wofür und warum. Am Galgen vor dem Tor versammelten sich Scharen Neugieriger, wenn man Verbrecher henkte, obwohl sie die gleiche Szene schon so oft beobachtet hatten. In der Kirche lauschten ein paar ältliche Betschwestern verzückt dem unsinnigen Geschwafel ihres Priesters, der mit großem Nachdruck predigte, obwohl er weniger wusste als sie.
Unbewusst hielten alle träge Ausschau nach einem Zeichen, dass Veränderungen nahten, nach einem Signal, dass sich endlich jener große Wandel vollzog, den sie in jeder Zelle ihres Seins spürten. Aber keine Botschaft kam, und so gingen sie weiter ihren Alltagsgeschäften nach. Der Niedergang der Welt und ihr bevorstehender Tod waren nicht bekannt und daher auch kein Gesprächsthema. An keinem anderen Ort waren der Uhrwerkeffekt und die Ohnmacht des Einzelnen gegenüber seiner Umgebung augenfälliger als in diesem verschlafenen Kaff.
Und doch hatte eine Veränderung stattgefunden. Nur fiel es niemandem auf. Wäre einer der Hauptcharaktere da gewesen, hätten die Leute ihr Dorf vielleicht verlassen. In der Sprechstunde des Doktors klagten an jenem Vormittag fünf Patienten, dass mit ihren Augen etwas nicht in Ordnung sei. »Als ob ein grauer Schleier über allem läge«, berichteten sie.
Der Doktor hatte das bereits selbst festgestellt. »Orangensaft«, grummelte er. »Und kommen Sie noch mal vorbei, wenn es schlimmer wird.«
Die Farmer hätten ebenfalls merken müssen, dass etwas nicht stimmte, als ihr Getreide plötzlich starr und spröde wurde. Einer von ihnen kratzte sich eine Viertelstunde lang am Kopf, nachdem er versucht hatte, Maiskolben zu ernten, und die Dinger in seinen Fingern wie farbloses Glas zersplitterten.
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