Invasion aus dem Jenseits (German Edition)
Schwärze des Loches verschluckt. Benno legte den Spaten und das Messer beiseite, bückte sich und leuchtete direkt hinein. Wenn es ihm egal war, sich schmutzig zu machen, und wenn er sich ein bisschen strecken und winden würde, könnte er da hinunter steigen.
Aber wollte er das? Und war er da unten überhaupt e rwünscht? Die Sogwirkung, die das Wesen auf ihn ausgeübt hatte, um ihn zu dem vergrabenen Messer zu führen, war verschwunden. Erst jetzt merkte Benno, dass er sich unwohl fühlte. Es war, als habe die Gespensterfrau, um ihn überhaupt hinter sich her locken zu können, seine Furcht unfühlbar gemacht – jetzt aber war die Angst vor dem Unheimlichen, dem er hier auf der Spur war, mit Macht wieder aufgeflammt.
Er beschloss, bei Tageslicht zurückzukommen. Vielleicht war dann ja zu erkennen, wie tief das Loch eigentlich war. Die T aschenlampe drang nicht bis zum Grund. Er knipste sie aus, wollte gerade die Beine durchstrecken und aufstehen, da gab der Boden unter ihm nach, er geriet ins Straucheln. Noch ehe er reagieren und sich irgendwo festhalten konnte, hatte es ihm die Füße weggezogen, und er stürzte in das Loch.
Für einen Moment schien es ihm, als würde er nur eine Schräge hinabgleiten. Instinktiv griff er nach Halt.
Griff ins Leere. Freier Fall. Aufprall irgendwo im schwarzen Nirgendwo. Er landete auf den Füßen, die Beine knickten ihm weg, er kippte nach hinten, hörte es platschen und saß im Wasser.
Die Nässe war so kalt und unerwartet, dass sie ihn sofort von den Schmerzen an den Füßen ablenkte.
Benno tastete um sich. Er glaubte gehört zu haben, dass die T aschenlampe irgendwo neben ihm gelandet war.
Was er fand, waren Steinchen und weitere kleine Wasserpfützen. Er erweiterte den Tastradius um sich, geriet an die Taschenlampe und knipste sie an.
Er sah gemauerte Wände und unter sich einen Boden aus Steinplatten. Das Loch, durch das er gestürzt war, hing erschreckend weit über ihm.
Stöhnend stand er auf. Schon im Moment des Aufpralls war ihm klar gewesen, dass er sich nicht verletzt hatte, und zum Glück bestätigte sich das jetzt. Leider bestätigte sich auch sein erster Eindruck, dass das Loch über ihm außer Reichweite war. Er streckte sich danach, und es fehlten mindestens zehn Zentimeter. Die Wände waren zu glatt zum Klettern.
Er gab es auf und leuchtete in beide Richtungen den Gang entlang. Für einen Bergbaustollen waren die Wände zu sauber gearbeitet.
„Vielleicht eine Agentenschleuse“, sagte Benno leise. Na klar, der Tunnel verlief im rechten Winkel unter dem Kolonnenweg hi ndurch Richtung Grenze. Kaum zu glauben, dass dieses Relikt des Kalten Krieges bisher unentdeckt geblieben war, aber was ihn betraf, konnte er sich beruhigen: Er brauchte bloß unter dem ehemaligen Todesstreifen durchzulaufen, und irgendwo da drüben würde dann schon ein Ausgang kommen.
Mit der Taschenlampe vorausleuchtend, lief er los. Sein Weg endete nach ein paar Metern vor einer Backsteinmauer. Also doch keine Agentenschleuse? Oder die Mauer war nach der We nde aus Sicherheitsgründen direkt hinter dem Ein- beziehungsweise Ausgang errichtet worden? Wie auch immer, für Benno blieb bloß die andere Richtung.
Am Einsturzloch vorbeigehend, rechnete er mit einer Mauer auch zur anderen Seite hin, denn wenn der Gang nach der Wende von off izieller Seite gesichert worden war, dann doch wohl auch vom Einstieg her. Aber der Gang streckte sich in Richtung frühere DDR scheinbar endlos unter der Erde entlang.
Benno zählte Schritte bis 100, fing wieder bei eins an und kam bis 57, als der Gang an einer Treppe endete. Nach 27 Treppenstufen aus Granit setzte sich ein weiterer Tunnel fort, der leicht aufwärts g erichtet verlief. Inzwischen hatte die Neugier über Bennos Unwohlsein gesiegt. Er hoffte nur, dass ihn die Batterien der Taschenlampe nicht im Stich ließen. Nicht auszudenken, hier plötzlich ohne Licht dazustehen und sich an den Wänden entlang tasten zu müssen!
68, 69, 70
Ende des Gangs.
Benno stand vor einem gemauerten, bogenförmigen Durchlass. D ahinter erkannte er im matten Lichtstrahl die ersten Stufen einer Wendeltreppe. Die Bauweise war ihm so vertraut, dass ihn die plötzliche Erkenntnis wie ein Blitz traf: Der Gang hatte ihn unter die Burg geführt!
Mit einer Mischung aus Erleichterung und neuem Unwohlsein stieg Benno die Wendeltreppe hinauf. Nach drei Spiralen, vielleicht zehn Metern Höhenunterschied, gelangte er in das Rech teck zweier zusammentreffender Gänge.
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