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Invasion der Barbaren: Die Entstehung Europas im ersten Jahrtausend nach Christus (German Edition)

Invasion der Barbaren: Die Entstehung Europas im ersten Jahrtausend nach Christus (German Edition)

Titel: Invasion der Barbaren: Die Entstehung Europas im ersten Jahrtausend nach Christus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heather
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einen Bevölkerungsstrom aus den weniger entwickelten in die höher entwickelten Regionen in südlicher und westlicher Richtung erwarten. Genau dies geschah auch in den ersten drei nachchristlichen Jahrhunderten. Die wirtschaftlichen und soziopolitischen Strukturen des höher entwickelten römischen Europa übten einen starken Sog auf die weniger entwickelten Nachbarn aus, insbesondere auf das weitgehend germanisch dominierte post-Jastorf-Europa. Viele kamen als Rekruten für die römischen Armeen ins Reich, andere unfreiwillig als Sklaven. Diese Bevölkerungsströme sind gut dokumentiert und müssen hier nicht weiter kommentiert werden. Doch auch die breiteren und stärker umstrittenen germanischen Bevölkerungsströme des 2. und 3. Jahrhunderts passen in dieses Schema, waren doch auch sie eine Migration Richtung Süden und Westen in das höher entwickelte Europa. Zum besseren Verständnis ihrer besonderen Geschichte muss man sich allerdings vor Augen halten, wie stark die vielfältigen Kontakte mit dem Römischen Reich das Europa der drei Geschwindigkeiten in der Zwischenzeit verändert hatten.
    Die geographische Asymmetrie der germanischen Expansion dieser Jahre erklärt sich zunächst durch die militärischen und politischen Strukturen des Römischen Reiches. Zwar war der Expansionsdruck im gesamten von den Germanen beherrschten Europa gleich groß, aber die durch ihn verursachten Migrationsbewegungen waren im Südosten, ganz besonders aber nördlich des Schwarzen Meeres, deutlich stärker. Während die germanischen Einwanderer im Südwesten lediglich die Agri Decumates übernahmen, wurde die sehr viel weiter östlich gelegene Provinz Dakien von den Römern den Migranten überlassen, die politischen Strukturen nördlich des Schwarzen Meeres wurden sogar völlig umgekrempelt. Dass die in verschiedene Richtungen laufenden Migrationsströme unterschiedlich breit waren, hat seinen Grund: Die Migranten, die sich nach Süden und Osten aufmachten, trafen zunächst nur auf den Widerstand der Klienten im inneren Grenzgebiet des Römischen Reiches und nicht direkt auf dessen Militärmacht. Dadurch hatten sie viel größere Erfolgschancen als die Migranten im Südwesten, die sich unmittelbar mit römischen Legionären konfrontiert sahen.
    Dass sich die erfolgreichen Führer dieser Expansionsströme meist mit einer Ansiedlung mehr oder weniger an den Rändern des Reiches zufriedengaben, statt dauerhaft die Grenze zu überschreiten, ergibt sich teilweise aus dem Langzeiteffekt der Kontakte mit der römischen Welt in den ersten zwei nachchristlichen Jahrhunderten. Der Handel – der Fernhandel mit Luxuswaren ebenso wie der lokale Handel mit landwirtschaftlichen Produkten –, die Gelegenheiten zur Plünderung reicherer römischer Territorien und die Tendenz des Römischen Reiches, seine Klienten mit Subsidienzahlungen zu unterstützen, führten dazu, dass sich an den grenznahen Höfen germanischer Könige neuer Reichtum ansammelte. Das Europa der drei Geschwindigkeiten entwickelte also noch ein viertes Tempo in Form einer inneren Zone von Klienten, deren Wohlstand den ihrer Nachbarn an der äußeren Peripherie des post-Jastorf-Europa weit übertraf. Es war für die Führer der germanischen Expansion nicht nur militärisch viel ungefährlicher, ihre Operationen auf Gebiete kurz vor der römischen Grenze zu beschränken; der seit zwei Jahrhunderten bestehende Austausch mit dem Römischen Reich und die sich daraus ergebende Akkumulation von Reichtümern hatten auch aus dem Vorland der Grenze ein attraktives Ziel für Raubzüge gemacht. Vorher wäre es für ehrgeizige germanische Kriegsfürsten wenig sinnvoll gewesen, vom Norden Mitteleuropas Richtung Süden zu ziehen oder vom Norden der Karpaten in den Südosten, da dort nicht allzu viel zu holen war.
    Betrachtet man das spätere 2. und 3. Jahrhundert unter diesem Gesichtspunkt, dann erklärt sich auch der Charakter zumindest einiger Gruppen, die sich an den Migrationsströmen beteiligten. Bereits der erste dokumentierte Versuch, von der äußeren Peripherie aus von dem neuen Reichtum zu profitieren, der sich unweit der Reichsgrenze angehäuft hatte, war ein Raubzug. Als der böhmische Markomannenkönig Vannius alt und schwach geworden war, gelang es einem einst verdrängten Rivalen, einen Trupp von Kriegern aus Polen aufzustellen und rund um seinen Hof alles Wertvolle wegzuschleppen, was nicht niet- und nagelfest war. Vieles davon stammte aus Subsidienzahlungen und aus den

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