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Invasion der Barbaren: Die Entstehung Europas im ersten Jahrtausend nach Christus (German Edition)

Invasion der Barbaren: Die Entstehung Europas im ersten Jahrtausend nach Christus (German Edition)

Titel: Invasion der Barbaren: Die Entstehung Europas im ersten Jahrtausend nach Christus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heather
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als die germanischen Klientelstaaten des 4. Jahrhunderts an den Rändern des Römischen Reiches, sie waren auch sehr viel mächtiger. Ihre Bauwerke waren nicht nur monumentaler, sie unterhielten auch größere, besser ausgerüstete und professionellere Armeen und übernahmen rasch die Kultur des entwickelteren imperialen Europa, insbesondere das Christentum.
    Alles deutet darauf hin, dass die Transformationsmechanismen, die diese neuen Einheiten hervorbrachten, jenen ähnelten, die die größeren germanischen Klientelstaaten der römischen Peripherie des 4. Jahrhunderts hervorgebracht hatten. In beiden Fällen hatten vielfältige neue Kontakte – durch Handel, Plünderungen, Diplomatie – in den nichtimperialen Gesellschaften zu einem bis dahin unbekannten Wohlstand geführt. Der Kampf um die Aneignung dieser Ressourcen führte zu einer Militarisierung und ließ Herrscher mit dynastischen Ansprüchen auf den Plan treten, die ihre Kontrolle über die Reichtümer zum Aufbau einer Militärmacht nutzten, mit deren Hilfe sie ihre Herrschaft institutionalisierten. Sie zerstörten oder verdrängten ältere, lokal begrenzte politische Strukturen, schalteten potentielle Rivalen aus und zentralisierten die Macht.
    Wenn die zugrunde liegenden Prozesse also dieselben waren wie bei den Germanen in der ersten Jahrtausendhälfte, so vollzogen sie sich in der slawischen Welt der zweiten Jahrtausendhälfte jedoch mit erheblich größerer Geschwindigkeit. Eine Erklärung dafür ist das breitere Spektrum von Anreizen, die es nach 500 im barbarischen Europa gab. Die westlichen Gebiete der slawischen Welt pflegten einen intensiven wirtschaftlichen, militärischen und diplomatischen Austausch mit dem Fränkischen Reich unter seinen verschiedenen Herrschern. Gleichzeitig hatte die zwei Jahrhunderte währende Herrschaft, die die Awaren mitten in Europa ausübten, erheblichen Einfluss auf große Teile der Slawen. Hinzu kam der Austausch mit einer weiteren europäischen Macht von geringerem Gewicht: dem Byzantinischen Reich. Noch bedeutsamer ist vielleicht, dass die mehr am Rand liegenden Gebiete des weitgehend slawisch beherrschten Barbaricum mit einer vierten, noch größeren Macht in Kontakt standen: dem islamischen Kalifat. In der ersten Jahrtausendhälfte gab es keinen ausgedehnten Handel mit Sklaven und Pelzen aus Mittel- und Osteuropa zu den Märkten des Nahen Osten und des Mittelmeers. Der Reichtum, den diese Netzwerke nun generierten, ist mit der Zeit davor nicht zu vergleichen. Allein die vielen islamischen Silbermünzen, die man in den Kerngebieten der neuen slawischen Reiche fand, belegen, welch große Anreize dieses außereuropäische Reich für die Transformation des slawischen Europa zu bieten hatte.
    Die zweite Erklärung für die beschleunigte Entwicklung des slawischen Europa ist die neue Militärtechnik, die in den letzten beiden Jahrhunderten des 1. Jahrtausends aufkam – insbesondere Ritterrüstungen und Burgen – und die es den Dynasten erleichterte, sich die Kontrolle über den neuen Reichtum zu sichern und ihre Gegner klein zu halten. Zwar hatten die neuen Reiche immer auch Peripherien, in denen die Zentralmacht weniger spürbar war, doch im Kernland setzte sie sich mit geradezu erschreckender Effizienz durch. Zu den spannendsten archäologischen Erkenntnissen der letzten Jahre zählt die anhand von Funden in Böhmen und Polen dokumentierte Brutalität, mit der die alten Stammesfestungen zerstört und durch die neuen Festungen der Herrscher ersetzt wurden. Die dynastische Macht zeigt sich auch in der Umsiedlung der unterworfenen Bevölkerung in die Kerngebiete der neuen Reiche und in ihrer wirtschaftlichen Organisation, die sich sowohl aus archäologischen Befunden wie aus frühen Schriftzeugnissen rekonstruieren lässt.
    Hier zeichnet sich zum ersten Mal ein Europa als funktionierende Einheit ab. Um das 10. Jahrhundert erstreckten sich die Netzwerke des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Austauschs über ein Territorium, das vom Atlantik bis zur Wolga und von der Ostsee bis ans Mittelmeer reichte. Aus einer um die Zeitenwende hochgradig zersplitterten politischen Landschaft, gekennzeichnet durch ein großes Entwicklungsgefälle und weitgehende Isolation, wurde ein Gebiet des intensiven Austauschs auf den verschiedensten Ebenen. Europa ist weniger durch seine physische Geographie als durch seine Humangeographie bestimmt. Um die Wende zum 2. Jahrtausend erreichte der Austausch zwischen den Menschen vom

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