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Invasion der Barbaren: Die Entstehung Europas im ersten Jahrtausend nach Christus (German Edition)

Invasion der Barbaren: Die Entstehung Europas im ersten Jahrtausend nach Christus (German Edition)

Titel: Invasion der Barbaren: Die Entstehung Europas im ersten Jahrtausend nach Christus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heather
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gegeben hätte. Immer wieder machten sich Menschen auf den Weg, auf der Suche nach größerem Wohlstand und besseren Lebensbedingungen, und auch in und nach dem 10. Jahrhundert blieb die Migration, zeitweilig immer noch in erheblichem Ausmaß, ein prägender Faktor der europäischen Geschichte. Vom späten 1. Jahrtausend an jedoch nahm die mittelalterliche Migration zwei charakteristische Formen an: Auf der einen Seite sehen wir einen Elitetransfer der Ritterschaft, für den die normannische Eroberung Englands das beste Beispiel liefert. Viel häufiger waren aber Verbände von ein- bis zweihundert gut bewaffneten Männern, die sich ein kleines Fürstentum aufbauen wollten, wozu sie die alteingesessene Elite vertrieben und die Arbeitskraft von Untertanen ausbeuteten. Die produktive Sesshaftigkeit der Bauern und die gesteigerte Macht aufgrund der neuen Militärtechnologie gaben dieser Migration ihr charakteristisches Gepräge. Burgen und Rüstungen erlaubten es ihnen, auch bei kleinem Gefolge eine lokale Herrschaft auszuüben. Eine andere, weitverbreitete Form der Migration ergab sich daraus, dass die adligen Grundherren Bauern mit attraktiven Pachtangeboten auf ihre Ländereien lockten, ja sogar regelrechte Anwerbekampagnen durchführten. Auch hier waren die neuen Entwicklungsmuster die treibende Kraft. Die Gutsbesitzer setzten die verbesserte Agrartechnik ein, die sich im späten 1. Jahrtausend durchsetzte, und sicherten sich die Arbeitskräfte für die Maximierung ihrer Produktivität. Trotz aller Fortschritte hinkten die neuen slawischen Reiche bei der wirtschaftlichen Entwicklung dem westlichen und südlichen Europa immer noch hinterher. Ihr Bedarf an bäuerlichen Arbeitskräften war daher besonders groß. Sie wurden vor allem in den bereits besser entwickelten Gebieten Europas rekrutiert, wo aufgrund der höheren Bevölkerungsdichte das Ackerland knapp wurde. So wurden Hunderttausende Bauern aus dem westlichen Mitteleuropa in den Osten gelockt, wo ihnen Land zu weit günstigeren Bedingungen winkte. Durch den Zustrom Germanisch sprechender Bauern wurde die Slawisierung weiter Teile des alten germanischen Europa, die im Frühmittelalter eingesetzt hatte, teilweise rückgängig gemacht. 12

    DAS DRITTE NEWTONSCHE GESETZ DER IMPERIALEN HERRSCHAFT

    Beide Migrationsformen des späteren Mittelalters sind durch Quellen sehr gut belegt, da sich inzwischen in weiten Teilen Europas die Schriftkultur verbreitet hatte. Ihre Bedeutung für die Entwicklung Europas kann also nicht in gleicher Weise bestritten werden wie die Migrationsphänomene des 1. Jahrtausends. Die Dominanz dieser unterschiedlichen Formen der Migration in einer späteren Epoche widerlegt jedoch keineswegs die Grundthese dieses Buches: dass die Entstehung Europas im 1. Jahrtausend hauptsächlich durch größere, sozial breiter aufgestellte und auf Plünderung angelegte Formen der Migration vorangetrieben wurde und weniger durch eine von der Ritterschaft getragene Expansion. Die großen, aggressiven Migrationsströme, die in diesem Buch betrachtet wurden – bei denen Bauern und Eliten in ein und derselben Migrationsgruppe unterwegs waren, während sie im späten Mittelalter getrennt loszogen –, entsprachen ihrem Umfeld. Kennzeichen des 1. Jahrtausends sind ein starkes Entwicklungsgefälle quer durch Europa, eine geringe Verwurzelung der Bauernschaft und eine landwirtschaftliche Produktion auf niedrigem Niveau. Die Wirtschaft im barbarischen Europa konnte nur eine geringe Zahl von Berufskriegern ernähren, so dass ehrgeizige Führer zu großen und damit zwangsläufig breit angelegten Expeditionen aufbrechen mussten, um sich eine Position am Rand des höher entwickelten Römischen Reiches zu sichern. Die Formen der Migration, die sich daraus entwickelten, unterschieden sich sowohl von denen des späteren Mittelalters wie auch von denen der heutigen Zeit. Unser Bild der Migration des 1. Jahrtausends ist nicht bloß das Ergebnis einer Verzerrung, bedingt durch kulturell bedingte Voreingenommenheit unserer Quellen – die Migration fand in einem spezifischen Umfeld statt, das sich von dem späterer Zeiten deutlich unterschied. Sie steht jedoch völlig im Einklang mit den Grundprinzipien auch der modernen Migration, deren Zielrichtung und Einheiten stets von den vorherrschenden Entwicklungsmustern diktiert werden.
    Kurz, wir haben allen Grund, auf die Beschränktheiten der alten Invasionshypothese nicht einfach dadurch zu reagieren, dass wir Migration als

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