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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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ein paar Experimente in der Art durch, wie ich sie dir beigebracht habe…«
    »Herrin!«
    »… aber das Kapital, so habe ich die Mifelis angewiesen, das Kapitel bekommst du erst, wenn du den Doktortitel erlangt hast. Ich würde dir raten, ein Haus samt Grundstück zu kaufen, aber…«
    »Herrin! Ein Konto? Womit? Wo…?« sagte ich, wahrhaft erstaunt. Sie hatte mir bereits alles aus ihren Beständen von Medikamenten und Rohmaterialien vermacht, von dem sie glaubte, es könnte für mich nützlich sein – und ich könnte es in einem einzigen Zimmer im Haus meines neuen Mentors, Doktor Hilbier, unterbringen.
    »Es ist das Geld, das der König mir gegeben hat«, sagte sie. »Ich brauche es nicht. Es gehört dir. Außerdem befindet sich in diesem Umschlag der Schlüssel zu meinem Tagebuch. Es enthält alle Notizen und Beschreibungen zu meinen Experimenten. Bitte gebrauche es nach deinem Gutdünken.«
    »O Herrin!«
    Sie nahm meine Hand in ihre und drückte sie. »Sei ein guter Arzt, Oelph. Sei ein guter Mensch. Jetzt, schnell«, sagte sie mit einem verzweifelt traurigen und wenig überzeugenden Lachen, »damit wir uns die Tränen ersparen und nicht hoffnungslos austrocknen, was? Laß uns…«
    »Und wenn ich Arzt würde, Herrin?« fragte ich in einem viel gefaßteren und kühleren Ton, als ich geglaubt hätte, in diesem Augenblick zustande zu bringen. »Wenn ich Arzt würde und ein Teil des Geldes dafür benutzen würde, um Eure Reise nachzuvollführen und nach Drezen zu kommen?«
    Sie hatte sich von mir abgewandt. Sie drehte sich wieder halb zu mir um und blickte auf die Holzplanken der Hafenmole. »Nein, Oelph. Nein, ich glaube nicht… ich glaube nicht, daß ich dort sein werde.« Sie sah mich an und brachte ein tapferes Lächeln zustande. »Leb wohl, Oelph. Alles Gute.«
    »Lebt wohl, Herrin. Danke.«
    Ich werde Euch immer lieben.
    Ich dachte diese Worte und hätte sie aussprechen können, hätte sie vielleicht ausgesprochen, sprach sie beinahe aus, aber schließlich sprach ich sie doch nicht aus. Es kann sein, daß ich dadurch, daß dies unausgesprochen blieb – auch wenn mir gar nicht klar war, daß ich daran gedacht hatte, es auszusprechen – mir einen letzten Rest Selbstachtung bewahrte.
    Sie schritt langsam die erste Hälfte des steilen Schiffsstegs hinauf, dann hob sie den Kopf, verlängerte die Schritte, straffte den Rücken und schritt hinauf zu der großen Galeone, wo ihr dunkler Hut irgendwo hinter dem schwarzen Gewebe von Seilen verschwand, alles ohne einen Blick zurückzuwerfen.
     
    Ich ging langsam in die Stadt zurück, mit gesenktem Kopf; die Tränen tropften mir die Nase hinunter, und mein Herz war in die Stiefel gesunken. Mehrmals dachte ich daran, aufzublicken und mich umzudrehen, aber jedesmal sagte ich mir, daß das Schiff bestimmt noch nicht ausgelaufen war. Die ganze Zeit über hoffte ich, hoffte, hoffte, daß ich das Tapsen rennender, in Stiefel steckender Füße hören würde, oder das doppelte Klatschen einer mir folgenden Sänfte, oder das Rattern einer Mietkutsche und das Schnauben der Zugtiere, und dann ihre Stimme.
    Die Kanone wurde zur vollen Stunde abgefeuert, hallte in der Stadt wider und veranlaßte Vögel, mit schlagenden Flügeln aufzufliegen und über den dunklen Pfosten zu kreisen, schreiend und rufend, und immer noch blickte ich mich nicht um, denn ich schätzte, es war der falsche Teil der Stadt, um den Hafen und die Docks zu sehen, und dann, als ich mich schließlich doch umdrehte, stellte ich fest, daß ich zu weit die Stadt hinauf gelaufen war und beinahe am Marktplatz angekommen war. Ich konnte die Galeone von dort aus unmöglich sehen, nicht einmal ihre Mastspitzen.
    Ich rannte den Weg zurück, den ich gekommen war. Ich dachte, ich könnte zu spät kommen, aber es war nicht zu spät, und als ich die Docks wieder sah, war da das große Schiff, wuchtig und stattlich und zur Hafenausfahrt gleitend, im Schlepp von zwei langgestreckten Kuttern voller Menschen, die an gedrungenen Rudern schufteten. Es waren noch immer viele Menschen am Hafen, die den Passagieren und der Mannschaft zuwinkten, die sich am Heck der auslaufenden Galeone versammelt hatten. Ich sah die Ärztin nicht auf dem Schiff.
    Ich sah sie nicht auf dem Schiff!
    Ich rannte auf den Docks herum wie ein Wahnsinniger und suchte sie. Ich erforschte jedes Gesicht, jeden Gesichtsausdruck, versuchte, jede Haltung und jede Gangart zu analysieren, als ob ich in meiner liebesnärrischen Verrücktheit wirklich glaubte,

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