Inversionen
so mächtigen widerstreitenden Personen umgeben sein konnten, ohne extremen Schaden auf uns zu ziehen. »Es war keine Zeit für einen Streit! Er war im Begriff, Euch zu nehmen! Vorsehung, ich habe ihn beobachtet! Ich schloß die Augen einen Herzschlag bevor… es war keine Zeit für einen Streit.«
»Mein lieber Oelph«, sagte die Ärztin, wobei sie immer noch mein Handgelenk umfaßt hielt. »Anscheinend hast du vergessen. Du warst eine Zeitlang ohnmächtig. Dein Kopf knickte zur Seite, dein Körper wurde schlaff. Du hast ziemlich gesabbert, wie ich leider sagen muß. Die drei Männer hatten einen Streit der guten alten Sorte, während du besinnungslos warst, und genau in dem Augenblick, als die beiden, die Ralinge getötet hatten, auf einander einschlugen, wachtest du wieder auf. Erinnerst du dich denn nicht?«
Ich blickte ihr in die Augen. Ihr Gesichtsausdruck war für mich nicht zu deuten. Plötzlich erinnerte ich mich an die Spiegelmaske, die sie bei dem Ball im Palast von Yvenir getragen hatte. »Ist es das, woran ich mich erinnern soll, Herrin?«
»Ja, Oelph, das ist es.«
Ich sah hinunter auf das Skalpell und die schimmernde Spiegelfläche der Klinge.
»Aber wie geschah es, daß Ihr von Euren Fesseln befreit wurdet, Herrin?«
»Nun ja, in seiner Eile hat Meister Ralinge schlichtweg einen Riemen nicht ordentlich befestigt«, sagte die Ärztin, die nun den Griff um mein Handgelenk löste und den Kopf wieder senkte. »Ein unverzeihliches Beispiel professioneller Unzulänglichkeit, aber vielleicht auf gewisse Weise für mich schmeichelhaft.«
Ich seufzte. Ich nahm den seifigen Schwamm aus dem Wasser und drückte noch etwas Seifenwasser auf ihren Hinterkopf. »Ich verstehe, Herrin«, sagte ich betrübt und schabte die letzten Haarreste von ihrem Kopf.
Während ich das tat, kam ich zu dem Schluß, daß mir mein Gedächtnis vielleicht letztendlich doch einen Streich gespielt haben mochte, denn als ich auf die Beine der Ärztin hinabsah, entdeckte ich ihren alten Dolch, der wie gewöhnlich aus dem Stiefelschaft herausragte, und da war, ganz deutlich zu sehen, der kleine blasse Stein am oberen Rand des Knaufs, der meiner felsenfesten Überzeugung nach gestern in der Folterkammer nicht mehr dagewesen war.
Ich glaube, ich wußte damals bereits, daß es niemals wieder so werden würde wie zuvor. Dennoch traf es mich zutiefst, als die Ärztin zwei Tage später allein einen Besuch beim König unternahm und mir bei ihrer Rückkehr eröffnete, daß sie darum gebeten hatte, aus seinem Dienst als Leibärztin entlassen zu werden. Ich stand wie erstarrt da, immer noch inmitten der unausgepackten Kisten und Körbe mit Vorräten und Zutaten, die sie von den Apothekern und Chemiemeistern der Stadt erworben hatte.
»Entlassen, Herrin?« fragte ich töricht.
Sie nickte. Ich hatte den Eindruck, daß ihre Augen aussahen, als ob sie geweint hätte. »Ja, Oelph. Ich denke, das ist das beste. Ich bin schon zu lange von Drezen weg. Und dem König geht es anscheinend im allgemeinen recht gut.«
»Aber es ist keine zwei Nächte her, daß er an der Schwelle des Todes war!« schrie ich, unwillig zu glauben, was ich hörte und was es bedeutete.
Sie bedachte mich mit einem ihrer flüchtigen Lächeln. »Ich denke, das wird nicht wieder vorkommen.«
»Aber Ihr sagtet doch, es sei durch irgendein – wie nanntet Ihr es noch gleich – ein allotropisches galvanisches Salz hervorgerufen worden. Verdammt, Frau, das könnte…«
»Oelph!«
Ich glaube, das war das einzige Mal, daß jeder von uns mit dem anderen in einem solchen Ton sprach. Der Zorn entwich aus mir wie die Luft aus einem angestochenen Ballon, und genauso schrumpfte ich zusammen. Ich senkte den Blick zu Boden. »Verzeihung, Herrin.«
»Ich bin ganz sicher«, erklärte sie mir entschieden, »daß das nicht noch einmal vorkommen wird.«
»Ja, Herrin«, murmelte ich.
»Du kannst das Zeug da wieder einpacken.«
Eine Stunde später befand ich mich am tiefsten Grund meiner Niedergeschlagenheit, packte auf Befehl der Ärztin Kisten, Körbe und Säcke wieder ein, als Ihr zu Besuch kamt, Meister.
»Ich möchte Euch gern unter vier Augen sprechen, Madame«, sagtet Ihr zu der Ärztin.
Sie sah mich an. Ich stand da, erhitzt und schweißüberströmt, gefleckt von kleinen Strohstückchen aus den Packkisten.
Sie sagte: »Ich glaube, Oelph kann bleiben, meint Ihr nicht, Wachkommandant?«
Ihr mustertet sie eine Zeitlang, wie ich mich erinnere, dann schmolz Euer strenger
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