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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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antwortete die Ärztin. »Ich war nicht in der Lage, irgend etwas zu tun. Vielleicht seid Ihr der Ansicht, daß ich nichts verdient habe.«
    »Nein, nein. Keineswegs. Bitte.« Die Dame ging zu einem Sekretär in der Nähe des Bettes und nahm einen schlichten kleinen Beutel heraus. Sie reichte ihn der Ärztin.
    »Ihr solltet wirklich mal Euren Arm untersuchen lassen«, sagte die Ärztin sanft, während sie das Gesicht der Frau, deren Mund, eingehend betrachtete. »Es könnte bedeuten…«
    »Nein«, sagte die Dame schnell, wandte den Blick ab und ging zum nächsten der hohen Fenster. »Mir fehlt absolut gar nichts, Frau Doktor. Ich bin vollkommen gesund. Danke, daß Ihr gekommen seid. Guten Tag.«
     
    Wir saßen auf dem Rückweg in der Mietsänfte und ruckelten und flochten uns einen Weg durch die Menge in der Breiten Straße, die zum Palast führt. Ich faltete mein aromatisiertes Taschentuch zusammen. Die Ärztin lächelte traurig. Sie war während des ganzen Rückwegs in einer nachdenklichen, sogar düsteren Stimmung gewesen (wir hatten das Haus auf demselben Weg verlassen, auf dem wir es betreten hatten, nämlich über den privaten Anlegesteg). »Hast du immer noch Angst vor üblen Körpersäften, Oelph?«
    »So bin ich nun mal erzogen worden, Herrin, und mir scheint das eine vernünftige Vorsichtsmaßnahme zu sein.«
    Sie seufzte tief und blickte auf die Leute hinaus. »Üble Körpersäfte«, sagte sie und sprach anscheinend mehr zu sich selbst als zu mir.
    »Diese üblen Körpersäfte von Insekten, über die Ihr gesprochen habt, Herrin…«, setzte ich an, da mir etwas einfiel, was mir mein Meister übermittelt hatte.
    »Hmm?«
    »Kann man sie den Insekten entziehen und benutzen? Ich meine, könnte irgendein Mörder, sagen wir mal, ein Konzentrat aus solchen Insekten herstellen und das Gift an einem Opfer anwenden?« Ich versuchte, eine Unschuldsmiene an den Tag zu legen.
    Die Ärztin hatte einen Ausdruck, den ich glaubte zu erkennen. Für gewöhnlich bedeutete er, daß sie im Begriff war, sich in einer außerordentlich langen und engagierten Erklärung darüber zu ergehen, wie einige Aspekte der Medizin funktionierten und daß alle Mutmaßungen, die ich zu diesem Thema gehabt haben mochte, vollkommen falsch waren. In diesem Fall jedoch nahm sie von einer solchen Lektion Abstand, ihr Blick schweifte in die Ferne, und sie sagte nur: »Nein.«
    Dann herrschte für eine Weile Schweigen zwischen uns. Währenddessen lauschte ich dem Rohrgeflecht der Sänfte, das um uns herum knarrte und quietschte.
    »Was war mit dem Arm der Dame Tunch nicht in Ordnung, Herrin?« fragte ich schließlich.
    Die Ärztin seufzte. »Er war gebrochen, vermute ich, und wurde dann nicht ordentlich geschient.«
    »Aber jeder Werkzeugschmied kann einen Knochen schienen, Herrin!«
    »Wahrscheinlich war es ein Splitterbruch. Die sind immer etwas komplizierter.« Sie blickte hinaus zu den herumwimmelnden Leuten, die hierhin und dorthin eilten und auf der Straße Handel trieben, sich stritten oder herumbrüllten. »Aber, ja, die Frau eines reichen Mannes – besonders eines mit einem Arzt in der Familie…« Sie drehte sich langsam zu mir um. »Man möchte doch annehmen, eine solche Person käme in den Genuß der besten medizinischen Versorgung, nicht wahr? Statt dessen, so scheint es, bekam sie überhaupt keine.«
    »Aber…«, setzte ich an, dann begriff ich allmählich. »Aha.«
    »Aha, wahrhaftig«, sagte die Ärztin.
    Wir beide beobachteten eine Zeitlang die Leute, während unser Quartett gemieteter Männer die Sänfte durch die Menge hindurch trug, hügelaufwärts in Richtung Palast. Nach einer Weile seufzte die Ärztin und sagte: »Ihr Kinn war auch vor nicht allzu langer Zeit gebrochen. Auch hier wurde sie nicht behandelt.« Dann nahm sie den Beutel, den die Dame Tunch ihr gegeben hatte, aus ihrer Manteltasche und sagte etwas, das eigentlich gar nicht zu ihr paßte. »Sieh mal, da ist eine Schenke. Laß uns etwas trinken.« Sie sah mich eindringlich an. »Trinkst du, Oelph?«
    »Nein, das heißt, eigentlich nicht, na ja, ich habe noch nie…«
    Sie streckte eine Hand zur Seite der Sänfte hinaus. Einer der Männer hinten rief denen vorn etwas zu, und wir kamen direkt vor dem Eingang der Schenke zu einem ordnungsgemäßen Halt.
    »Komm«, sagte sie und versetzte mir einen Klaps aufs Knie, »ich bring es dir bei.«

 
6. Kapitel
Der Leibwächter
 
     
    Die Konkubine Perrund, in diskretem Abstand von einem Eunuchen der Haremswache

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