Inversionen
Statt dessen wurde unsere Mietsänfte zu einem kleinen Kai einige Straßen entfernt geleitet, wo wir in einen kleinen Kabinenstakkahn umstiegen, der uns mit geschlossenen Fensterläden durch einen Seitenkanal um die Rückseite des Gebäudes herum zu einem kleinen Anlegeplatz brachte, der vom öffentlichen Gewässer aus nicht zu sehen war.
»Was soll das alles?« fragte die Ärztin mich, als die Fensterläden des Stakkahns von dem Bootsmann geöffnet wurden und das Schiff gegen die dunklen Balken eines Piers rumpelte. Es war Hochsommer, dennoch wirkte der Ort kalt und roch nach Dunkelheit und Fäulnis.
»Herrin?« sagte ich und band mir ein mit Gewürzen aromatisiertes Taschentuch um Mund und Nase.
»Diese Geheimniskrämerei.«
»Ich…«
»Und warum machst du das?« fragte sie, offenbar ärgerlich, während ein Diener dem Bootsmann half, den Kahn festzubinden.
»Was? Das da, Herrin?« fragte ich und deutete auf das Taschentuch.
»Ja«, sagte sie und stand auf, wodurch sie den kleinen Kahn zum Schaukeln brachte.
»Das dient dazu, krankheitserregende Einflüsse abzuhalten, Herrin.«
»Oelph, ich habe dir schon mehrmals gesagt, daß Infektionen über den Atem oder über Körperflüssigkeiten übertragen werden, auch wenn es sich um die Körperflüssigkeiten von Insekten handelt«, sagte sie. »Ein übler Geruch an sich macht dich nicht krank. Danke.« Der Diener nahm ihr die Tasche ab und legte sie behutsam auf den kleinen Anlegesteg. Ich antwortete nicht. Kein Arzt weiß alles, und es ist besser, auf Nummer Sicher zu gehen, als daß es einem hinterher leid tut. »Jedenfalls«, sagte sie, »ist mir immer noch nicht klar, warum all diese Heimlichtuerei nötig ist.«
»Ich nehme an, der Sklavenmeister will nicht, daß sein eigener Arzt von Eurem Besuch erfährt«, sagte ich, während ich auf den Steg kletterte. »Sie sind Brüder.«
»Wenn dieser Sklavenkerl dem Tod so nahe ist, warum ist dann sein Arzt nicht an seiner Seite?« fragte die Ärztin. »Und überhaupt, warum ist er nicht als sein Bruder an seiner Seite?« Der Diener streckte eine Hand aus, um der Ärztin aus dem Boot zu helfen. »Danke«, sagte sie erneut. (Sie dankt ständig irgendwelchen Dienstboten. Ich denke, das Gesinde in Drezen muß eine griesgrämige Bande sein. Oder einfach nur verwöhnt.)
»Ich weiß es nicht, Herrin«, gab ich zu.
»Der Bruder des Meisters hält sich derzeit in Trosila auf, Ma’am«, sagte der Diener (was nur zeigt, was geschieht, wenn man erst einmal anfängt, mit Dienern zu reden).
»Ach ja?« sagte die Ärztin.
Der Diener öffnete eine schmale Tür, die zur Rückseite des Gebäudes führte. »Ja, Ma’am«, sagte er, wobei er nervös zu dem Bootsmann hinübersah. »Er hat sich persönlich auf den Weg gemacht, um eine seltene Sorte Erde zu suchen, die angeblich den Zustand lindern soll, unter dem der Meister leidet.«
»Ich verstehe«, sagte die Ärztin. Wir betraten das Haus. Eine Dienerin empfing uns. Sie trug ein strenges schwarzes Kleid und hatte ein abweisendes Gesicht. In der Tat war ihre Miene so verschlossen, daß mein erster Gedanke war, der Sklavenmeister Tunch sei verstorben. Doch sie nickte der Ärztin flüchtig zu und sagte in knappem Ton: »Doktor Vosill?«
»Die bin ich.«
Sie nickte in meine Richtung. »Und das da?«
»Das ist mein Lehrling Oelph.«
»Gut. Folgt mir.«
Die Ärztin sah sich um, als wir eine kahle Holztreppe hinaufstiegen, einen verschwörerischen Ausdruck im Gesicht. Ich wurde dabei ertappt, wie ich den schwarzen Rücken der Frau, die uns anführte, mit einem überaus unwilligen Blick musterte, aber die Ärztin lächelte nur und zwinkerte mir zu.
Der Diener, der mit der Ärztin gesprochen hatte, öffnete die Tür und verschwand durch eine andere, die meiner Vermutung nach ins Bedienstetengeschoß führte.
Der Aufgang war steil und eng und nur durch einen Fensterschlitz in jedem Stockwerk erhellt, dort, wo die Holzstufen eine scharfe Kehre beschrieben. In jedem Stockwerk gab es auch eine schmale Tür. Die Vorstellung huschte mir durch den Sinn, daß diese abgeschiedenen Gemächer Kinder beherbergten, denn der Sklavenmeister Tunch war bekannt dafür, daß er sich auf Sklaven im Kindesalter spezialisiert hatte.
Wir kamen zum zweiten Treppenabsatz. »Wie lange hat Sklavenmeister Tunch schon…?« setzte die Ärztin an.
»Bitte, redet nicht auf dieser Treppe«, wies die streng aussehende Frau sie an. »Andere könnten mithören.«
Die Ärztin erwiderte nichts, sondern sah
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