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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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erneut mich an, die Augen weit offen und die Mundwinkel heruntergezogen.
    Wir wurden in den Rest des Hauses im dritten Stock geführt. Der Flur, in dem wir uns befanden, war breit und feudal ausgestattet. Gemälde schmückten die Wände, und vor uns waren wandhohe Glasfenster, die die Ansicht der Dächer der großen Häuser auf der gegenüberliegenden Seite des Kanals und des Himmels und der Wolken darüber zeigten. Eine Reihe hoher, breiter Türen ging von dem Flur ab. Wir wurden zur größten und breitesten geführt.
    Die Frau legte die Hand auf den Türgriff. »Der Diener«, sagte sie. »An der Anlegestelle.«
    »Ja?« sagte die Ärztin.
    »Hat er mit Euch gesprochen?«
    Die Ärztin sah der Frau eine Weile in die Augen. »Ich habe ihn etwas gefragt«, sagte sie (dies war eines der wenigen Male, daß ich eine direkte Lüge aus dem Mund der Ärztin hörte).
    »Das dachte ich mir«, sagte die Frau und öffnete uns die Tür. Wir traten in einen großen, dunklen Raum, der nur von Kerzen und Laternen beleuchtet war. Der Boden unter unseren Füßen fühlte sich warm und pelzig an. Zuerst dachte ich, ich sei auf einen Hund getreten. Ein Parfüm von üppiger Süße erfüllte den Raum, und ich glaubte, den Geruch verschiedener Kräuter erkannt zu haben, die bekanntermaßen eine heilende oder erfrischende Wirkung haben sollten. Ich versuchte, einen Geruch von Krankheit oder Fäulnis auszumachen, was mir jedoch nicht gelang. Ein riesiges Himmelbett stand in der Mitte des Raums. Darin lag ein großer Mann, um den sich drei Leute kümmerten; zwei Dienerinnen und eine gutgekleidete Dame. Sie drehten sich um, als wir eintraten und Licht in den Raum flutete. Das Licht verblaßte hinter uns, als die streng aussehende Frau die Tür von außen schloß.
    Die Ärztin wandte sich um und sagte durch den schmaler werdenden Spalt: »Der Diener…«
    »Wird bestraft«, ergänzte die Frau mit einem eisigen Lächeln.
    Die Türflügel schlugen zu. Die Ärztin holte tief Luft und wandte sich dann der kerzenbeleuchteten Szene in der Mitte des Raums zu.
    »Seid Ihr die Ärztin?« fragte die Dame und kam auf uns zu.
    »Mein Name ist Vosill«, stellte sich die Ärztin vor. »Seid Ihr die Dame des Hauses?«
    Die Frau nickte. »Könnt Ihr meinem Mann helfen?«
    »Das weiß ich nicht, Madame.« Die Ärztin sah sich in den dunklen, halbverborgenen Winkeln des Raumes um, als ob sie versuchte, seine Ausmaße zu ermessen. »Es wäre hilfreich, wenn ich ihn sehen würde. Gibt es einen Grund dafür, daß die Vorhänge zugezogen sind?«
    »Oh! Man hat uns gesagt, die Dunkelheit würde die Schwellungen zurückgehen lassen.«
    »Wir wollen uns die Sache einmal ansehen, ja?« sagte die Ärztin. Wir gingen zum Bett. Das Gehen auf dem dicken Teppichboden war ein seltsames, verwirrendes Erlebnis, wie das Gehen an Deck eines schwankenden Schiffes.
    Der Sklavenmeister Tunch hatte schon immer in dem Ruf gestanden, ein Mann von stattlichem Körperumfang zu sein. Jetzt wirkte er noch wuchtiger. Er lag schnell und flach atmend auf dem Bett, und seine Haut war grau und fleckig. Seine Augen waren geschlossen. »Er schläft die meiste Zeit«, erzählte uns die Dame. Sie war ein zierliches kleines Ding, kaum mehr als ein Kind, mit einem spitzen Gesicht und Händen, die andauernd aneinander herumkneteten. Eine der beiden Dienerinnen wischte ihrem Gatten die Stirn ab. Die andere machte sich am Fußende des Bettes zu schaffen und straffte die Bettücher.
    »Er hat sich vorhin beschmutzt«, erklärte die Dame.
    »Habt Ihr den Stuhl aufgehoben?« fragte die Ärztin.
    »Nein!« sagte die Dame entrüstet. »Das haben wir nicht nötig. Das Haus verfügt über ein Wasserklosett.«
    Die Ärztin nahm den Platz der Dienerin ein, die dem Mann die Stirn abgerieben hatte. Sie sah ihm in die Augen, sie sah ihm in den Mund und dann zog sie die Decke über der großen Wölbung seines Körpers zurück, bevor sie sein Hemd hochzog. Ich glaube, die einzigen fetteren Männer, die ich je gesehen habe, waren die Eunuchen. Meister Tunch war nicht nur fett (obwohl, herrje, Fettsein ja nicht schlimm ist), er war aufgebläht. Seltsam. Ich sah das selbst, noch bevor mich die Ärztin darauf hinwies.
    Sie wandte sich an die Dame. »Ich brauche mehr Licht«, sagte sie. »Würdet Ihr bitte die Vorhänge aufziehen lassen?«
    Die Dame zögerte, dann nickte sie den Dienerinnen zu.
    Licht flutete in den großen Raum. Er war noch prächtiger, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Das gesamte Mobiliar war mit

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