Inversionen
aufgestanden und davongerannt, aber er fühlte sich wie an der Stelle angeklebt. Er hätte gern die Arme gehoben, um sich zu verteidigen, aber sie fühlten sich an, als wären sie an seinen Seiten festgenagelt.
DeWar stand da, betrachtete seinen rechten Unterarm und wischte bedächtig den weißen Gipsstaub von dem schwarzen Stoff. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging schnell zur Tür, wo er stehenblieb und mit einem Gesicht zurücksah, das jetzt den Ausdruck unermeßlicher Qual angenommen hatte. Er blickte zu dem Paneel, das er soeben durchstoßen hatte. »Ihr entdeckt vielleicht noch ein Paneel, das der Reparatur bedarf. Es muß schon früher kaputt gegangen sein, nicht wahr?«
Der Stuckateur nickte beflissen. »Ja. Ja. O ja, natürlich, Herr. O ja, ganz eindeutig. Mir ist es früher schon aufgefallen, Herr. Ich werde mich sofort darum kümmern, Herr.«
Der Leibwächter sah ihn einen Moment lang an. »Gut. Die Wache wird Euch hinauslassen.«
Dann war er weg, und die Tür fiel ins Schloß und wurde verriegelt.
11. Kapitel
Die Ärztin
Der Wachkommandant des Palastes von Yvenir hielt sich ein parfümiertes Taschentuch vor die Nase. Vor ihm war eine Steinplatte, versehen mit Eisenfesseln, eisernen Beinschienen und Lederriemen. Nichts davon war nötig, um denjenigen, der gegenwärtig ausgestreckt auf der Platte lag, darauf festzuhalten, denn es war der schlaffe Leichnam des königlichen Foltermeisters, Nolieti; er war nackt, abgesehen von einem schmalen Stoffstreifen, der um seine Genitalien drapiert war. Neben dem Wachkommandanten Polchiek standen Ralinge, Foltermeister im Dienst des Herzogs Quettil, sowie ein junger, graugesichtiger, schwitzender Schreiber, den Wachkommandant Adlain geschickt hatte. Dieser hatte persönlich den Befehl über den Suchtrupp übernommen, der den Lehrling Unoure jagte. Diesen dreien gegenüber, auf der anderen Seite der Steinplatte, standen Doktor Vosill, deren Gehilfe (das bin ich selbst) und Doktor Skelim, Leibarzt des Herzogs Quettil.
Die Verhörkammer unter dem Palast von Yvenir war verhältnismäßig klein und niedrig. Sie roch nach einer Vielfalt unangenehmer Dinge, einschließlich Nolieti selbst. Es war nicht etwa so, daß der Leichnam schon in den Zustand der Verwesung übergegangen wäre – der Mord war erst vor ein paar Stunden geschehen –, doch dem Grind und Dreck nach zu urteilen, der auf der ansonsten blassen Haut des Foltermeisters zu sehen war, war offensichtlich, daß er nicht zu den Menschen gehört hatte, die viel von Körperhygiene hielten. Der Wachkommandant beobachtete einen Floh, der unter dem Lendentuch des Mannes hervorkroch und sich auf den Weg die schlaffe Kurve seines Bauches hinauf machte.
»Seht«, sagte Doktor Skelim und deutete auf das winzige schwarze Tier, das sich über die gefleckte graue Haut der Leiche bewegte. »Da verläßt jemand das sinkende Schiff.«
»Auf der Suche nach Wärme«, fügte Doktor Vosill hinzu, die schnell die Hand ausstreckte und nach dem Insekt griff. Es verschwand einen Augenblick, bevor ihre Hand dort ankam, und hüpfte davon. Polchiek sah belustigt aus, und auch ich wunderte mich über die Naivität der Ärztin. Wie lautete noch dieses Sprichwort, das besagte, es gibt nur eine sehr begrenzte Zahl von Möglichkeiten, einen Floh zu fangen? Doch dann schnappten die Finger der Ärztin in der Luft zu, sie prüfte, was sie gefangen hatte, drückte die Spitzen fester zusammen und wischte sich dann die Überreste an der Hüfte ab. Sie sah zu Polchiek auf, dessen Gesicht Erstaunen ausdrückte. »Er hätte einen von uns anspringen können«, erklärte sie.
Ein Lichtschacht über der Steinplatte war allem Anschein nach seit langer Zeit zum ersten Mal geöffnet worden – der Menge Staub und Schutt nach zu urteilen, die auf den unseligen Schreiber herabrieselte, der geschickt worden war, um bei der Leichenöffnung durch Doktor Vosill Protokoll zu führen. Zwei am Boden stehende Kandelaber fügten ihr Licht der grauenvollen Szene hinzu.
»Können wir anfangen?« fragte der Wachkommandant von Yvenir mit polternder Stimme. Polchiek war ein massiger, hochgewachsener Mann mit einer einzigen großen Narbe, die sich vom grauen Haaransatz bis zum Kinn zog. Ein Sturz bei der Jagd im vorangegangenen Jahr hatte ihm ein steifes Knie beschert, das ihm das Gehen erschwerte. Das war der Grund, weshalb Adlain und nicht er dazu bestimmt worden war, die Suche nach Unoure zu leiten. »Mir hat es noch nie Spaß gemacht,
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