Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Irgendwann Holt Es Dich Ein

Irgendwann Holt Es Dich Ein

Titel: Irgendwann Holt Es Dich Ein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Hill
Vom Netzwerk:
erlaufen. Wieso diesmal nicht? Zweifellos stimmte etwas nicht mit ihr, wenn sie nicht einmal in ihren kleinen Fitnessraum gehen und sich ihre Probleme wegtrainieren mochte.
    Und das Schlimmste war, dass Kate genau wusste, was mit ihr los war. Ja, natürlich war sie fertig mit den Nerven, natürlich war sie deprimiert, nur handelte es sich nicht um eine Krankheit. Sie litt nicht unter Depressionen, sondern unter Schuldgefühlen. Sie war schuldig. Sie war so schuldig, wie man es nur sein konnte. Und je mehr Neil von der Lady-Jane-Geschichte sprach, desto schuldiger fühlte sie sich. Ihr bisheriges Laufen und Trainieren war nichts als eine Flucht vor der Wahrheit. Und dann ihr ganzes Gerede darüber, dass sie in der Schule ein Opfer gewesen sei. Klar, sie war terrorisiert worden. Aber sie hatte auch terrorisiert. Sie hatte Mr. Atkins genauso gequält wie die anderen. Sie hatte mitgemacht, war Teil des Problems gewesen. Und vielleicht traf sie größere Schuld als alle anderen. Denn wer, wenn nicht sie, hätte es besser wissen müssen? Sie wusste doch zu gut, wie furchtbar es war, terrorisiert, gequält und provoziert zu werden. Es hatte ihr jeden einzelnen Tag ihrer Schulzeit zur Hölle gemacht. Und dennoch war sie dabei gewesen. Sie hatte mitgemacht und geholfen, jemand anderem das Leben zu verleiden. Und das wiederum hatte letztlich zu Hatties und Serenas Tod geführt. Wie Hattie gesagt hatte: Wir haben etwas Furchtbares getan. Hattie hatte sich erinnert und sich schuldig gefühlt. Warum war Kate das nicht gelungen?
    Sie hätte es besser wissen und mit gutem Beispiel vorangehen müssen. Vor dieser Schuld konnte sie nicht weglaufen. Die konnte sie sich nicht einmal abschrubben.
     
    Neil war in seinem Produktionsbüro im Süden der Stadt, um an dem Film über die Lady Jane zu arbeiten. Er müsse noch irgendwas schneiden, wie er ihr vorhin erzählt hatte. Er wollte eine Bildercollage zusammenstellen, die das aufgezeichnete Geständnis von Mr. Atkins untermalen solle. Es war ein kalter, ungemütlicher Tag; einer dieser grauen Tage, wie sie im Januar und Februar vorkommen, wenn der Himmel gar nicht richtig zu erwachen scheint. Die Sonne strengte sich gar nicht erst an, durch die dichte Wolkendecke zu brechen. Nirgends war eine Spur von Helligkeit oder Wärme zu entdecken, bloß feuchte, drückende Kälte und Halbdunkel.
    Es war schon nach halb elf, und Kate saß immer noch in ihrem dicken, warmen Bademantel bei ihrem dritten Becher Kaffee. Sie hatte sich von einer Sendung einlullen lassen, in der es um Leute ging, die ersteigerte Häuser renovierten. Im Grunde vegetierte sie nur noch vor sich hin. Sie trank zu viel Kaffee, wurde rappelig davon und sah sich Mist im Fernsehen an. Ihr war schlicht zum Heulen zumute.
    Gleichzeitig nagte ein unklarer Gedanke an ihr, der etwas mit Hatties Tod und Mr. Atkins zu tun hatte, den sie jedoch nicht recht benennen konnte.
    Beim Telefonklingeln zuckte sie zusammen. Es war Neil. »Hallo, Schatz, was machst du gerade?«
    Sofort hatte sie den Verdacht, dass er sie überprüfte. Kate hatte ihm gesagt, dass sie heute ihren Lebenslauf aufarbeiten und ein paar frühere Kontakte aus der Radiobranche anrufen wollte. Sie musste sich irgendeine Arbeit suchen. »Ach, na ja, dies und das«, antwortete sie so munter wie möglich, auch wenn sie Neil natürlich nichts vormachen konnte. Wahrscheinlich wusste er genau, was sie tat: herumhängen und sich deprimierenden Gedanken hingeben. Sie verachtete sich selbst für ihre Schwäche, doch dadurch wurde es nur umso schwieriger, aus dem Tief herauszufinden. Ein Teufelskreis.
    »Falls du gerade nicht beschäftigt bist, könntest du vielleicht mal in die Abstellkammer sehen? Ich glaube, da steht ein Karton mit alten Schulsachen von dir. Kannst du bitte nachschauen, ob da irgendwas drin ist, was ich für die Bildmontage benutzen kann? Ich meine Schulzeitungen, Klassenfotos und Urkunden, irgendwas in der Richtung. Schulbücher, Sachen aus dem Kunstunterricht ... Eigentlich alles.«
     
    Hattie war nie in Mr. Atkins' Klasse gewesen. Das war es, was die ganze Zeit an Kate genagt hatte. Es fiel ihr in dem Moment ein, in dem sie sich auf den Holzboden in der Abstellkammer hockte und den Karton mit ihren alten Schulsachen hervorzog. Hattie war erst in der Oberstufe an die Lady Jane Grey gekommen. Sie war nie eine Schülerin von Mr. Atkins gewesen. Nicht dass es ihn gekümmert hätte. Nach allem, was Neil erzählt hatte, war Atkins egal gewesen, wen er quälte. Er

Weitere Kostenlose Bücher