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Irgendwann Holt Es Dich Ein

Irgendwann Holt Es Dich Ein

Titel: Irgendwann Holt Es Dich Ein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Hill
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grell wie immer, und lächelte strahlend. Sie trug eine weiße Rüschenbluse und einen breiten Schal mit Paisley-Muster um die Schultern. Den einen Arm hatte sie um Kate gelegt, die steif, aber ebenfalls lächelnd in die Kamera sah. Kate hatte eine Jeans und ein schlichtes dunkelblaues T-Shirt an. Susan in ihrer dunkelgrünen Bluse überragte alle deutlich; und schließlich Serena, im rosaroten Pulli über einer weißen Bluse, Arm in Arm mit Susan. Neben ihnen - dieser Teil fehlte bei Hatties Bild - war ein Mädchen von einer anderen Schule, einer Gesamtschule in Südlondon, das sich ihnen aus unerfindlichen Gründen während des Wochenendseminars angeschlossen hatte. Ein unscheinbares Mädchen mit Brille und Pferdeschwanz, das ein rotes Sweatshirt mit einem Aufdruck der Cambridge University trug. Kate erinnerte sich nur vage an es. Helen. Hazel. Heather. Aber sie wusste noch, wie stolz das Mädchen auf sein geschmackloses Sweatshirt gewesen war. Es hatte Kate leidgetan, weil es sich so lächerlich machte.
    Kate saß an die Wand der Abstellkammer gelehnt und betrachtete das Foto auf ihrem Schoß. Das Bild nahm sie völlig gefangen, auch wenn sie nicht recht sagen konnte, warum. Es war nichts weiter als ein eingefrorener Moment, fünf Mädchen auf der Schwelle zum Erwachsensein, die weit weg von zu Hause so taten, als seien sie schon Studentinnen. Man konnte jede Menge gegensätzliche Botschaften und unterschwellige Hinweise aus dem Foto herauslesen. Die übertriebene Umarmung Hatties könnte eine Wiedergutmachung für die Zeit sein, die sie nicht mit Kate verbracht hatte. Die seltsam symbiotische Beziehung zwischen Susan und Serena mit ihren ständig wechselnden Machtpositionen. Und das Mädchen ganz außen in dem lächerlichen Sweatshirt - ja, Kate war beinahe sicher, dass es Heather hieß. Jede von ihnen war erfüllt von einer ganz bestimmten Hoffnung. Und nun waren zwei der Mädchen auf dem Bild tot, ermordet vor ihrem vierzigsten Geburtstag.
    Nein. Irrtum! Drei der Mädchen auf dem Foto waren inzwischen tot. Jetzt kam alles wieder zurück. Heather. Ja, so hatte sie geheißen, ganz sicher. Sie war das Mädchen, das in Cambridge gestorben war, an dem Schnupperwochenende, bei dem tragischen Unfall, von dem ihnen die Direktorin erzählt hatte. Heather war das Mädchen, das sich betrunken hatte, irgendwie in den Fluss gestürzt und ertrunken war.

NEUNUNDZWANZIG
     
    Die Kälte an jenem Januartag in Cambridge hatte etwas Unwirkliches, Gespenstisches. In dem Moment, in dem Kate aus dem Zug stieg, kroch ihr der gefrierende Nebel in die Glieder. Sie meinte förmlich zu spüren, wie er mit seinen Fingern nach ihr griff, die Lücken in ihrer Kleidung fand, durch die er ihr bis ins Mark drang. Nur fünfundvierzig Minuten Fahrt von Kings Cross an einem ohnehin kalten, ungemütlichen Tag, und schon war sie in einer Stadt, die sichtbar in eisige Feuchtigkeit gehüllt war.
    Eine der Lehrerinnen hatte schon in den Oxbridge-Vorbereitungskursen über das Klima in Cambridge gescherzt. Sie selbst war in Oxford gewesen und ermunterte ihre Schülerinnen alle, sich ebenfalls an den dortigen Colleges zu bewerben. »Geht bloß nicht nach Cambridge«, hatte sie gesagt. »Da ist es viel zu kalt und zu platt. Der Winter dort ist sibirisch, und nur Gog und Magog trennen euch vom Ural.«
    Kate hatte gelacht, weil alle anderen Mädchen in der Klasse lachten, und sie wollte nicht die Einzige sein, die es nicht tat. Aber in Wahrheit hatte sie keine Ahnung gehabt, was die Lehrerin meinte. Jahre später war sie in einem Artikel über Gog und Magog gestolpert, die beiden niedrigen Hügel außerhalb von Cambridge. Beim Lesen war ihr der Satz wieder eingefallen, und endlich verstand sie ihn. Bei ihrer Ankunft zu dem Schnupperwochenende in Cambridge jedoch war ihr nur klar gewesen, dass sie eine solche Kälte noch nie erlebt hatte.
    Es war damals ungefähr dieselbe Jahreszeit gewesen wie jetzt, sogar ungefähr dieselbe Tageszeit, mitten am Nachmittag, und die Sonne ging bereits unter. Sie schlug den Weg ein, den sie damals genommen hatte, zum Seminar für Oberstufenschüler. Ihr Plan war der, zu dem College zurückzukehren, in dem sie gewohnt hatten. Vielleicht würde ihr dann wieder einfallen, was mit Heather geschehen war. Sie hatte so eine Ahnung, dass Heathers Tod das »Furchtbare« sein könnte, das Hattie verfolgt hatte.
     
    Vor dem Bahnhof stieg Kate in ein Taxi. An jenem Tag hatten sie sich auch ein Taxi genommen, alle vier

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