Irgendwann Holt Es Dich Ein
ebenfalls gekichert, obwohl sie sichtlich unsicher war, worüber sie lachte - oder über wen.
Nach und nach kehrten die Erinnerungen wieder. Kate lehnte in der Tür zu einem der Treppenaufgänge, zog ihren leuchtend grünen Wintermantel fester um sich und blickte in den vereisten Innenhof. Zu dieser Zeit waren keine Studenten da, sodass alles wie ausgestorben wirkte, gleichsam im Wartezustand. Als Kate die Wand hinter sich berührte, spürte sie den bröckelnden, staubigen Stein. Sie hatte ein komisches Gefühl im Bauch, mulmig, während ihr Dinge in den Sinn kamen, an die sie sich lieber nicht mehr erinnern würde.
Zuerst hatte sie versucht, Heather abzuwimmeln. Sie hatte gemerkt, dass Susan, Serena und Hattie das Mädchen nicht mochten und sich über Heather lustig machten. Und ihr war auch bewusst, dass sie Kate anlasteten, dass Heather wie eine Klette an ihnen klebte. Also bemühte Kate sich, Heather loszuwerden und sie davon abzuhalten, ihnen dauernd nachzustiefeln. Am ersten Seminartag hatte Heather sich abends wieder zu ihnen gesetzt. Zuvor hatte sie Kate gefragt: »Ist doch okay, wenn ich mich zu euch setze, oder?«
Und Kate antwortete: »Naja, eigentlich weiß ich gar nicht genau, wann wir zum Essen gehen. Du brauchst nicht auf uns zu warten. Geh einfach runter, wenn du so weit bist.« Deutlicher hätte sie es wohl kaum sagen können, denn ein klares Nein brachte sie nicht über die Lippen. Dennoch hatte Heather zwanzig Minuten später in ihrem roten Sweatshirt vor Hatties und Kates Tür gewartet, als sie rauskamen - wahrscheinlich hatte sie die ganze Zeit dort gestanden. Sie folgte ihnen nach unten in den Speisesaal und setzte sich zu ihnen. Kate hatte sie dafür gehasst.
Zum allerersten Mal war Kate Teil der Gruppe, wurde als eine von ihnen akzeptiert. Sie war Hatties Zimmergenossin, und Hattie mochte sie, deshalb wurde sie von Susan und Serena geduldet. Und alles wäre wunderbar gewesen, hätte es nicht ihren kleinen Schatten im roten Sweatshirt gegeben.
Bei jenem Abendessen ging das Verspotten richtig los. Serena machte den Anfang. Kate bemerkte, dass sie absichtlich Heathers Londoner Akzent imitierte - mit verschluckten H und Knacklauten. Susan stimmte ein, dann Hattie und schließlich auch Kate, die so hart daran gearbeitet hatte, ihren Arbeiterklassenakzent abzulegen. Sobald sie angefangen hatte, war es ganz einfach, ja, das Einfachste von der Welt. Sie brauchte nichts weiter zu tun, als Serenas und Susans Beispiel zu folgen, und schon war alles gut. Sie wurde akzeptiert, weil Heather die Außenseiterin war. Heather hatte Kates Rolle übernommen.
Heather selbst war das allerdings gar nicht aufgefallen. Das war das Schlimmste daran. Sie schien gar nicht mitzubekommen, dass sie verspottet wurde, oder, falls doch, überspielte sie es sehr geschickt. Im Laufe der nächsten beiden Tage wurden die vier immer dreister in ihrem Hohn. Susan zog los, kaufte sich ein Cambridge-University-Sweatshirt und trug es über ihrer hübschen teuren Bluse und dem Cashmere-Pullover. Serena behielt das gesamte Wochenende ihren Londoner Akzent bei, und Hattie gewöhnte sich an, genauso gebeugt herumzuschlurfen wie Heather. Und Kate ... was hatte sie getan?
Oh Gott! Während sie hier in dem Innenhof des Colleges stand und durch den frostigen Nebel in die Vergangenheit blickte, konnte sie fast nicht ertragen, was ihr wieder einfiel. Sie hatte das Schlimmste von allem getan.
Sie hatte die Freundschaftsbombe mit Heather gespielt. Am zweiten Tag des Seminars war es gewesen: Da hatte sie mit Heather exakt das gemacht, was die Mädchen an der Lady Jane mit ihr angestellt hatten. Sie ließ Heather in allen Seminaren und Gesprächsgruppen neben sich sitzen. Sie lobte Heathers Haare. Sie ging eingehakt mit Heather zu den Mahlzeiten und setzte sich neben sie. Und währenddessen machte sie sich mit Hattie hinter Heathers Rücken über sie lustig. Am nächsten Tag dann hatte sie Heather fallenlassen wie eine heiße Kartoffel.
Kate schluckte. Ihr war schlecht. Erst Mr. Atkins und nun das. Sie war gehässig gewesen, das wurde ihr nun deutlich Sie war genauso eine Tyrannin gewesen wie alle anderen. Nur dass es sich bei ihr noch weit ärger ausnahm, weil sie ganz genau gewusst hatte, welchen Schmerz sie dem Mädchen zufügte.
Kate ging vom College aus den schmalen Pfad hinunter, der zu einer Fußgängerbrücke über den Cam führte. Sie achtete darauf, den Radlern auszuweichen, während sie auf die Brücke trat. Durch den
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