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Irgendwann Holt Es Dich Ein

Irgendwann Holt Es Dich Ein

Titel: Irgendwann Holt Es Dich Ein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Hill
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hat, war wahrscheinlich aus ihrer Paranoia geboren. Das hat wirklich nichts mit dir zu tun. Du warst rein zufällig da. Wenn überhaupt jemand schuld ist, dann derjenige, der ihr diese Miniflaschen zugeschickt hat.«
    »Du hast recht«, erwiderte sie. »Ich weiß ja, dass du recht hast.« Sie lächelte zu ihm auf. »Ich bin bloß eine blöde Kuh mit übertriebenen Schuldgefühlen, die sich für alles verantwortlich fühlt.«

NEUN
     
    Wie nannte man so was eigentlich? Eine Totenwache war es eher nicht, dachte Kate. Die hielt man doch vor dem Begräbnis ab, oder nicht? Sie jedenfalls assoziierte mit dem Begriff einen offenen Sarg und Generationen irischer Familien, die sich versammelten, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen und zu fiedeln: ein ausgelassenes, trunkenes, fast fröhliches Fest, mit dem das Leben des Verstorbenen gefeiert wurde.
    Vielleicht hätte man für Hattie lieber so eine Feier organisieren sollen. Stattdessen war die ganze Veranstaltung sehr britisch: ein steifer Empfang, ein unterkühltes Beisammensein von förmlich gekleideten Menschen im gleichfalls kühlen Veranstaltungssaal eines Mittelklasse-Hotels neben der North Circular Road, unweit der Kirche. Der Saal wurde noch um einiges kühler durch den angeschlossenen Wintergarten, der gewiss zu einer anderen Jahreszeit lauschiger gewesen wäre. Zwei lange Tische waren weiß eingedeckt. Auf einem war das Essen angerichtet: Sandwiches, kaltes Fleisch und Salate. Auf dem anderen standen Tee, Kaffee, Gläser mit Wein und Orangensaft bereit. Kein warmes Essen. Kate meinte sich zu erinnern, dass warme Speisen bei solchen »Anlässen« tabu waren.
    Sie hockte auf einem Stuhl in der Ecke und hielt einen Teller mit Essen in der Hand, das sie nicht anrühren konnte. Stattdessen versuchte sie zu ergründen, wie sie sich fühlte. Tatsächlich ging es ihr ein bisschen besser. Sie war nach wie vor benommen, ihr war übel, aber sie kam sich fast schon wieder menschlich vor, als wäre sie eben aus einem Albtraum erwacht. Sie war lethargisch und erschöpft, empfand sich jedoch erstmals seit Hatties Tod wieder als halbwegs normal. Es war, als würde sie sich von einer längeren Krankheit erholen, als könne sie für eine Weile einfach ruhig in diesem anonymen Raum sitzen und wieder einen klaren Kopf bekommen.
    Aber warum fühlte sie sich besser? Vielleicht hatte Neil recht mit dem, was er immerzu sagte: Lieber alles rauslassen, als es in sich reinfressen. Sie hatte heftig geweint, also musste sie sich danach wohl besser fühlen. Nein, es war mehr als das. Sie hatte Neil ihre Ängste gebeichtet, und er hatte sie beiseitegewischt - zu Recht. Ihre Ängste waren dumm gewesen, und nicht nur das: Es war außerordentlich schwach und egozentrisch gewesen, sich vorzustellen, dass Hatties Kummer, Hatties Verzweiflung, Hatties Suizid irgendetwas mit ihr zu tun haben könnten.
    Kate wusste, dass sie in der letzten Woche nicht sie selbst gewesen war, und hasste sich dafür. Sie hatte sich von Furcht beherrschen lassen, obwohl sie sich geschworen hatte, das niemals zuzulassen. Nun schaute sie sich in dem seelenlosen Raum um. Hatties Mutter saß an einem runden Tisch in der gegenüberliegenden Ecke. Neil war bei ihr, den Kopf zu ihr geneigt. Er hörte ihr aufmerksam zu. Na schön. Vielleicht half es allen, wenn er dem Ursprung dieser Schnapspäckchen nachspürte. Immerhin war es etwas Konkretes, und Rosemary Fox würde Neils Recherche gewiss durch ihre Trauer helfen. Außerdem dürfte Neil seinen Spaß daran haben.
    Trotzdem wusste Kate nicht, wie sie zu Neils Auftrag stehen sollte - und »Auftrag« war der einzige Terminus, der ihr dazu einfiel, denn er behandelte die Angelegenheit als solchen. Kate hatte es gutgetan, Neil von ihren Ängsten zu erzählen, das musste sie zugeben. Sie fühlte sich erleichtert, seit sie mit ihm geredet hatte, zumal Neil ein guter Zuhörer war. Allerdings konnte er auch nichts auf sich beruhen lassen. Neil glaubte fest an Fakten. Seiner Ansicht nach waren Fakten eine Art Panzer, der sicherste Schutz eines jeden Journalisten. Das sagte er oft. Und seine Faktengläubigkeit machte ihn zu solch einem guten, beharrlichen Reporter. Er wünschte sich, dass Kate ihre Rolle bei Hatties Selbstmord verarbeitete, und dabei unterstützte er sie auf die ihm einzig mögliche Weise: indem er loszog und alles über Hattie und die Person herausfand, die ihr nachgestellt hatte. Natürlich ging es ihm nicht allein um Kate. Neil konnte gar nicht anders. Wann immer

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