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Irgendwann Holt Es Dich Ein

Irgendwann Holt Es Dich Ein

Titel: Irgendwann Holt Es Dich Ein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Hill
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sich übergeben musste. »Ungelöste Probleme«, hatte er halb im Scherz gesagt. Küchenpsychologie war eine Schwäche von ihm.
    Der Pfarrer leierte immer noch lieblos Plattitüden herunter, und auf einmal wurde Kate wütend auf ihn. Diese Trauerfeier war nichts für Hattie, sie war vollkommen falsch, viel zu ruhig und beherrscht. Viel zu gedämpft: Fahrstuhlmusik, Prozac, entschieden zu »angemessen« für Hattie Fox. Die Trauergemeinde war zu stumm, zu emotionslos. Dabei wären auf Hatties Trauerfeier große Gefühle am Platz gewesen: Heulen und Wehklagen, so wie Hattie es ausgestoßen hatte, als die U-Bahn im Tunnel stoppte. Irgendetwas an dieser Trauerfeier musste es doch geben, das Kate aus ihrer Benommenheit, dem tauben Nichts reißen konnte. Die Leute sollten sich die Kleidung zerfetzen, sich Asche auf die Stirn reiben und beklagen, dass ein solch lebendiger, unbequemer und einzigartiger Mensch tot war.
    Nun standen sie auf und sangen ein Kirchenlied: »The Day Thou Gavest Lord is Ended«. Neil legte einen Arm um Kate und zog sie nahe an sich; die unerwartete Zärtlichkeit seiner Geste war zu viel. Kate merkte, wie ihre Lippen zu beben begannen, und plötzlich konnte sie nicht mehr. Sie weinte! Sie weinte nie, doch jetzt erschütterten die Schluchzer sie von Kopf bis Fuß, und je mehr sie sich anstrengte, sie zu unterdrücken, umso schlimmer wurden sie. Neil reichte ihr ein Taschentuch, während Kate bemüht war, sich zusammenzureißen, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Auch wenn sie sich eine emotionalere Trauerfeier gewünscht hätte, waren solche Gefühlsausbrüche gänzlich unangebracht. Es war okay, bei solchen Anlässen zu weinen. Ein paar diskrete Tränen von einer Freundin der Toten waren akzeptabel und wurden erwartet. Aber um jemanden laut schluchzend zu trauern, den man seit Jahren nicht gesehen hat - zumal wenn die Mutter der betreffenden Person geradezu bewundernswert gefasst blieb -, war lächerlich und zeugte von erbärmlicher Selbstbeherrschung. Das alles sagte Kate sich, nur half es nichts.
    Die Leute drehten sich zu ihr um und sahen sie an, sodass es peinlich wurde. Kate spürte, wie Neils Arm sie sanft drückte und aus der Kirche leitete. Dankbar ging sie mit ihm. Was für ein Glück, dass sie so spät gekommen waren und nur noch einen Platz weit hinten bekommen hatten! Sobald sie draußen waren, führte Neil sie zu einer Holzbank an einem Kiesweg neben dem kleinen grasbewachsenen Friedhof, der zur Kirche gehörte. Er reichte Kate weitere Taschentücher, legte wieder den Arm um sie und hielt sie fest, während sie schluchzte.

ACHT
     
    Dort war es beinahe friedlich. Das dumpfe Rauschen der nahe gelegenen North Circular Road hatte einen seltsam beruhigenden, fast hypnotischen Effekt. Alles schien plötzlich egal. Kate saß in einen warmen Mantel gehüllt auf einer Bank, und Neil hatte den Arm um sie gelegt. Hier konnte sie sitzen und in Ruhe Tränen vergießen.
    »Entschuldige«, sagte sie immer wieder.
    Neil lächelte. »Ist okay, Liebes. Du darfst ruhig trauern.«
    »Ich bin gleich wieder okay.«
    »Lass dir Zeit.«
    Kate erkannte natürlich, dass Neil seine bewährte sanfte Stimme einsetzte, die er benutzte, wenn er Leute nach einem traumatischen Erlebnis befragte. Sie wollte ihm widersprechen und ihm sagen, dass es ihr gutging. Aber ihr wollten partout nicht die richtigen Worte einfallen. »Das ist der Schock«, sagte Neil. »Sonst nichts.«
    »Es ist bloß ... ich muss immerzu an sie denken.«
    »Ja, und das ist vollkommen normal.«
    Neil massierte ihr sanft die linke Hand, allerdings wirkte seine Berührung ein bisschen mechanisch. Kate zog ihre Hand zurück und begann an den zerknüllten Taschentüchern in ihrem Schoß herumzuzupfen. Es gab etwas, über das sie sprechen musste. Neil hatte recht: Sie musste darüber reden.
    »Kurz bevor Hattie sprang, hat sie etwas Merkwürdiges gesagt: Wir haben etwas Furchtbares getan. Seitdem muss ich dauernd daran denken und frage mich, was sie gemeint hat.«
    Da. Jetzt war es heraus. Sie hatte es endlich ausgesprochen. Sie wollte wissen, was Hattie gemeint hatte. Es ließ ihr keine Ruhe, doch zugleich hatte sie Angst davor, es zu erfahren.
    Als sie die Worte aussprach, war ein Erinnerungsfetzen aufgetaucht. Er hatte mit dem Gefühl zu tun, das sie überkommen hatte, als sie Hatties Satinsandalen von ihren Fingern baumeln ließ. Etwas Furchtbares. Doch es blieb seltsam fern, unbenennbar. Kate schüttelte den Kopf und verdrängte das

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